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Autor Thema: Die Caprice auf dem Drempel  (Gelesen 5332 mal)

Offline Panta Rhei

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Die Caprice auf dem Drempel
« am: 14.07.2004, 23:22 »
Wenn man von Süden auf Tarmonbarry zu schippert, dann zieht es mich jedesmal kurz vor der Schleuse Richtung Steuerbord. Der Camlin River, vor allem der grüne Tunnel kurz hinter Clondara Lock, lockt mein Boot wie magisch an. Aber zuerst muss Clondara Lock gemeistert werden: alles urig, die Schleusentore noch hand- und muskelbetrieben, der Schleusenwärter muss in Richmond Harbour ausfindig gemacht werden, alles kostet Zeit, aber "wir sind ja nicht auf der Flucht, sondern im Urlaub".

Im letzten Jahr war ein junger, netter Schleusenwärter zu Gange, der zu einem Plausch aufgelegt war. Es war lausig kalt an dem Tag, aber er machte seine Arbeit in kurzen Hosen, abgehärtet, wie die Iren halt so sind, war ja auch Juni. Wir standen in Pullover und Anorak auf dem Deck und fragten ihn bibbernd, was der Wetterbericht so sagt. Er blickte uns kurz von oben bis unten an und sagte dann: "Snow." Aber das nur so nebenbei. Die eigentliche Geschichte haben wir in diesem Jahr erlebt:

Wir hatten unterhalb der Schleuse angelegt. Oben war ein Boot von Waveline eingefahren mit einer schwäbischen Familie und dann noch eine Caprice von Emerald Star mit jungen Leuten aus Irland. Beide Bootsbesatzungen waren anscheinend Neulinge und kannten sich nicht so aus, also bot ich mich an, ins Dorf zu gehen und den Lockkeeper zu holen.

Im Richmond Harbour fragte ich nach dem Schleusenwärter und bekam die Antwort: Da vorne am Schleusenhaus, ich werde den Schleusenwärter am roten Kopf erkennen. An selbigem erkannte ich ihn auch. Zusätzliche Merkmale: schwankender Gang, unverständliche Aussprache, akuter Bluthochdruck. War ein anderer Lockkeeper als im letzten Jahr. OK, nach einer Viertelstunde kam er an unserer Schleuse an und machte sich bedächtig, aber auch ein wenig planlos, an die Arbeit: Wir schlossen dann doch irgendwie das obere Schleusentor, und er ließ das Wasser unten heraus. Die beiden Boote senkten sich langsam, nur das Heck der Caprice machte nach einiger Zeit beim Sinken nicht mehr mit. Die irische Besatzung schrie, der Schleusenwärter hörte nichts.

Ich schrie ihm zu: "Stop the water!" Er rief: "You cannot stop the water!" Doch langsam erkannte auch er, dass die Caprice auf dem Drempel saß, der Bug ungefähr 1m niedriger stand als das Heck, und das Heck auch noch halb das Dinghi unter sich zusammenquetschte. Ich merkte, dass er ziemlich in Panik geriet, hin und herlief und nicht wußte, was tun. Deshalb hab ich gemeint, er soll wieder Wasser in die Kammer reinlassen. Stattdessen hat er die Kammer leergemacht, die Tore geöffnet, das Waveline-Schiff weiterfahren lassen. Dann meinte er, wir sollten die Caprice mit dem Seil vom Drempel herunterziehen. Das alles in einem ziemlich undeutlichen, lallenden Englisch. Nicht nur wir, sondern auch die irische Besatzung auf dem Boot verstand nur so etwa jedes fünfte Wort. Herunterziehen? 10 Tonnen? 12 Tonnen? Keine Ahnung, wie schwer so ein Boot ist, aber o.k. wir halfen. Gleichzeitig hatte ich ein ständiges alarmiertes Auge auf ihn, da er sich hin- und herschwankend am äußersten Abgrund der Schleuse bewegte. Natürlich bewegte sich die knarrende Caprice keinen Millimeter.

Nach ungefähr 10 Minuten, in der ich mit Menschen- und Engelszungen mit ihm sprach, hatte er doch ein Einsehen. Wir schlossen die unteren Tore, umständlich kurbelte er die Schieber zu, schwitzend, mit hervorquellenden Adern auf der Schläfe, schwer schnaufend öffnete er die oberen Schieber. Nach quälend langer Zeit hob sich die Caprice, erst vorne, dann irgendwann auch hinten, das Dinghi hüpfte unter dem Heck hervor, und die Caprice war frei. Mit zitternden Fingern zündete er sich die wohlverdiente Zigarette an, nach weiteren 5 oder 10 Minuten verlies die Caprice die Schleuse, und wir fuhren ein. War ein unterhaltsamer Vormittag.

Ein herzliches Ade aus Oberfranken!
Wolfgang

Offline Panta Rhei

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Re:Die Caprice auf dem Drempel
« Antwort #1 am: 14.07.2004, 23:34 »
PS: Wer spendiert der IWAI mal einen Eimer gelber Farbe für die Drempelmarkierungen?
Ein herzliches Ade aus Oberfranken!
Wolfgang