"Der Würger von Goresbridge" oder "Horror in der Morgensonne"
Bevor ich nun eine neue Schreckensstory zum besten gebe, muß ich zwei An-
merkungen vorausschicken, damit mir Pike & Kollegen nicht wegen Geschäfts-
schädigung auf den Pelz rücken.
Erstens sind das wirklich die einzigen zwei Erlebnisse der besonderen Art,
die ich hatte- und das in insgesamt 36 Wochen Bootsurlaub ! Statistisch
gesehen, schlagen die irischen Leprechauns also nur alle 18 Wochen voll
zu, und das sind 4 1/2 Monate, eine lange Zeit.
Und zweitens wird der zaghaft gewordene Skipper auch hier sehen, daß man
mit etwas Überlegung und Ruhe immer noch das beste aus einer Situation ma-
chen kann.
Begeben wir uns auf die Reise
Es geht an den wunderschönen Barrow. Ich war hier schon oft, und Ihr wer-
det Euch kaum vorstellen können, daß ich es noch nie bis St. Mullins ge-
schafft habe. Natürlich hätte ich es schaffen können, aber dann hätte ich,
um bei Sonnenaufgang starten zu können, alle Livemusik -Abende in Vicars-
town versäumt, hätte einmal eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier aus-
schlagen müssen, wäre achtlos an den schönsten Plätzen wie Maganey, Mill-
town and all den vielen anderen Stellen vorbeigerauscht. Keine Cassetten-
recorderaufnahme des arg angeheiterten Sängers in Monasterevan, keine nach
Deutschland mitgebrachten Homebrewsets aus Carlow... kurzum, es ist nicht
mein Anliegen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang am Tiller zu stehen.
Aber irgendwann wollte ich doch mal den Barrow in ganzer Länge befahren,
und reservierte 3 Wochen im Frühjahr 2003 für die Fahrt von Rathangan bis
St. Mullins und zurück. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht zu
schaffen wäre.
Es ging mit dem Teufel zu.
Nach reibungslosem Flug und Transfer erwarteten mich Karen und Mike am
Spätnachmittag in Rathangan schon mit einem Smithwick's. Der Torfofen im
Boot war trotz 20 °C Außentemperatur schon angeheizt (man weiß hier, was
wir "continentals" so brauchen). So endete der Anreisetag ganz stilvoll
mit etwas Auspacken, Vorräte einkaufen, und mit 2 Pints im Village Pump
"on the road" ging es dann wieder aufs Boot, wo der Torfofen noch etwas
glimmte.
Am nächsten Tag ging dann die Reise durch den ginsterumsäumten Barrowkanal
los. Den "neuen" alten Hafen von Monasterevan einweihen, Livemusik im
Anchor's Inn in Vicarstown, keine nassen Füße in Athy- alles klappte so,
wie man sich einen Bootsurlaub vorstellt.
Uns so ging es auch auf der eigentlichen Flußstrecke vom Barrow weiter.
Ganz normaler Wasserstand, kein Aufsitzen nach den Schleusenkanälen, aber
auch keine Sturzfluten, die einen dort gleich ans Ufer drücken. Maganey
habe ich schon genügend gelobt, auch Carlow ist immer eine lange Pause und
eine Übernachtung wert. Weiter gings am Tag 6 der Reise Richtung Milltown.
Seltsamerweise zeigte das GPS, das ich hier weniger zur Orientierung
sondern mehr als Logaufzeichnung mitlaufen hatte, immer komischere Werte
für die Geschwindigkeit an. 12, 13 km/h. Soviel macht das Boot ja auch bei
Talfahrt nicht. Und dann, 15, 18 km/h. Wer hat den Perkins gedopt?? Es war
mir bald klar, daß das Wasser in der Zwischenzeit erheblich gestiegen war.
Etwas unverständlich, weil in dem Gebiet fast nur Sonnenschein herrschte.
(Später erfuhr ich dann, daß es im oberen Einzugsgebiet des Barrow wolken-
bruchartige Regenfälle gegeben hat).
So fuhr ich sorglos mit weniger als halber Kraft und trotzdem flott meinem
Ziel St. Mullins entgegen. Natürlich hätte ich mit Dreiviertelgas bald die
20 km/h überschreiten können, aber das verkniff ich mir, denn wenn man mit
dieser Geschwindigkeit auf einen Felsen läuft, ist auch eine stählerne
Bootshülle überfordert.
Leighlinbridge, ein kleines Dorf auf dem Land, war nächste Station, dann
ging's nach Bagenalstown, einer gemütlichen Kleinstadt.
Hier gab es am nächsten Tag so richtig deutsches Wetter. Also nicht die
Abwechslung von Schauer und Sonne wie sonst in Irland, sondern grau
verhangenen Himmel mit Nieselregen. Das war, dachte ich mir, der richtige
Tag, um bis Graiguenamanach "durchzubrettern". Also kräftig Holz und Bri-
ketts für den Ofen gekauft, und auf gings. Kaffeepause in Goresbridge und
etwas Füßevertreten im Ort, der mir bei diesem Wetter mit vielleicht 200 m
Sichtweite nicht besonders attraktiv vorkam.
Also sollte es bald weitergehen. Telefonische Ankündigung beim Schleusen-
wärter (wenn er es schon angeboten hat!). Aber leider, so sagte er, würde
es heute bis Graiguenamanach zu spät werden. Normalerweise würde es ihm
auf eine Viertelstunde nicht ankommen, aber heute müßte er noch irgendwo-
hin fahren, ich müßte also dann unterwegs übernachten. Natürlich hätte ich
die verbleibenden Schleusen auch selber machen können, aber bei diesem
Wetter? Und der Ofen bullerte gerade so schön... Kurzum, ich blieb in Go-
resbridge, weil der innere Schweinehund siegte. Ich sollte ihm noch dank-
bar sein.
Am nächsten Morgen- wieder ganz irisch- schien die Sonne in die abziehen-
den Nebelschwaden- ein Bild für Götter! Aber hoppla- wo ist die Ufermauer
geblieben? Gestern konnte ich landwärts nur mit Verrenkungen zum Fenster
rausschauen, heute habe ich freien Blick in den Ort ??
Klar- das Wasser war noch weiter gestiegen. Und zwar einen halben Meter,
und der Barrow hatte eine Strömung, daß es an der Leeseite der Brücken-
pfeiler so richtig "schlürfte". An Weiterfahrt war da nicht zu denken.
Macht nichts. Ist ja Urlaub. Das läßt sich abwarten. So merkte ich mir ei-
nen charakteristischen Stein an der Kaimauer, um den Abfall des Hochwas-
sers verfolgen zu können und machte mich auf Erkundungstour. Der Ort sah
bei Sonnenschein gleich viel schöner aus, Pubs, Läden, alles war da. Dann
gings zu Fuß am Ufer entlang zur nächsten Schleuse, Lower Ballyellen. De-
ren unterer Anleger verriet sich nur noch durch ein vorwitziges Stückchen
Geländer. Aber ich hatte immer noch kein schlechtes Gefühl, was meine Ur-
laubsplanung anging.
Zurück am Anleger Goresbridge kam der Schock: Mein Stein war weg! Das
heißt, er war noch da, aber er lag 40 cm unter Wasser! Der Barrow war also
nochmal beträchtlich gestiegen. Ein paar Einheimische, die sich hier neu-
gierig versammelt haben, versicherten mir, daß sie so etwas - um diese
Jahreszeit zumindest- noch nie gesehen hätten.
Naja, den Tag kann man verschmerzen, dachte ich mir. Was schnell kommt,
geht auch schnell, und am nächsten Nachmittag würde es schon weitergehen.
Ich merkte mir eine kleine Farnpflanze an der Mauer als Pegelmesser, be-
sorgte ein paar Vorräte und testete ein Pub, wo man mir meine weiteren
Reisepläne schon mal ausreden wollte. Zurück am Boot kamen mir auch Zwei-
fel: Mein Farn hat sich in eine Unterwasserpflanze verwandelt!!! So gab es
also, nachdem ich ein halb losgerissenes Schiff vor mir gesichert hatte
einen gemütlichen Abend an Deck mit einem Buch über die Barrow-Schiffahrt.
Am nächsten Morgen war der Überblick übers Land noch besser, weil das Was-
ser noch weiter gestiegen war. Insgesamt waren es, wie ich erfuhr, ca 1
1/2 Meter über Normalstand. Also gab es einen Stillieger - Tag.
Erst am Morgen des nächsten Tages war das Wasser etwas gefallen, aber es
ging viel zu langsam. Natürlich wäre es kein Kunststück gewesen, weiter
flußabwärts zu fahren, aber wie wäre es dann zurück gegangen? So testete
ich erst mal die erreichbare Geschwindigkeit flußaufwärts. Nach der näch-
sten Kurve war die Geschwindigkeit bei (fast) Vollgas exakt 0,0 km/h.
Also zurückfallen lassen und wieder anlegen. Und das Spielchen ging vier
ganze Tage so.
Da blieb ausreichend Zeit, um die Gegend zu erkunden, und ich sah, daß Go-
resbridge entgegen meinem ersten Eindruck ein Glücksfall war. Im Ort gab
es alles, was man so braucht, und rundherum war blühende irische Hügel-
landschaft. Fast war es schade, daß am fünften Tag das Wasser soweit ge-
fallen war, daß es weiterging. Angesichts der immer noch beträchtlichen
Strömung habe ich mir St. Mullins abgeschminkt. Das wäre stressig gewor-
den, und so ging es langsam wieder zurück, sehr langsam. Mit der sagenhaf-
ten Geschwindigkeit von 1 - 2 km/h (das GPS sprach bei diesem Tempo zwi-
schenzeitlich gar nicht an) ging es Richtung Upper Ballyellen Lock.
Der Barrow rauschte gewaltig bei immer noch sehr hohem Wasserstand. Um so
erstaunlicher, daß es auf einmal so klickte, als würde man einzelne Kie-
selsteine streifen. Komisch. Da die Stelle mit den berüchtigten, jetzt
knapp überspülten Felsen schon hinter mir lag, steuerte ich mehr in die
Fahrrinnenmitte- wo die Strömung natürlich noch stärker war. Und trotz der
Tiefe und einer Fahrt von 0,1 km/h: klick, klick!
Auf einmal: MOTOR AUS!!!!!!!!
Anlassen, kurzes Husten, wieder aus!
Nochmal anlassen: nicht mal ein Husten.
In der Zwischenzeit hatte das Schiff natürlich längst die Geschwindigkeit
der Strömung angenommen und trieb so auf die Goresbridge Rocks zu- und
kurz danach wartete die massive Brücke. "In no time", wie die Iren so
schön sagen, war ich am Bug und ließ den bis jetzt immer umsonst herge-
richteten Anker sausen. Die Kette rauschte auch sauber aus; da sie recht
dünn war, stemmte ich mich in den letzten Meter, um den Ruck wenigstens
etwas abzufangen.
Der Ruck kam nicht!
Anker, die teilnahmslos durch den Grund pflügen, sind dem Skipper natür-
lich ein Graus, aber nach dreimal tief durchschnaufen merkte ich, daß der
Anker doch soviel Widerstand aufbrachte, daß die Fahrt recht langsam wur-
de. Das erwartete Abknutschen der Felsen könnte also glimpflich ausgehen.
Nach nochmaligem Durchschnaufen machte ich eine Entdeckung: Wenn man die
gespannte Kette 2 Meter von der Bugklampe zurücknimmt und aus der Boots-
mittellinie Richtung Stb hinaushält, stellt sich der Rumpf etwas schräg,
und die Strömung drückt das Schiff nach Backbord Richtung Ufer. Also Moo-
ringpost an die Leine, Hammer herbei und das kräftezehrende Manöver durch-
geführt, bis eine geeignete Stelle am Ufer vorbeikommt. Da war sie. Ich
legte mich auf den Bauch aufs Vordeck, machte die Arme so lang wie ich
konnte und rammte den Pfosten mit einer Begeisterung in die irische Erde,
daß es die Australier an den Füßen kitzelte.
Geschafft. Und weil ein Skipper erst dann zufrieden sein darf, wenn der
Kahn an mindestens zwei Punkten gesichert ist, rammte ich den zweiten Pfo-
sten auch noch rein und sicherte dessen Leine an der Mittelklampe. Puh.
Jetzt konnte ich Karen in Rathangan anrufen, die erst mal Mike aufstöberte
und ihn dann mit Helfer auf die lange Fahrt nach Goresbridge schickte.
Nachdem sie mich an dieser Stelle von der Straße aus nie sehen würden,
hißte ich die quietschorange Rettungsweste an der langen Bootsstange als
Erkennungszeichen. Zu allem Überfluß setzte auch noch Hagel ein, so verzog
ich mich unter Deck, wo ich ganz intensiv über B&B - Urlaub nachdachte.
Aber damit war nicht etwa der gleichnamige Kanal gemeint, sondern Bed &
Breakfast!
Als der Hagel vorbei war, erwachte bei mir doch ein gewisses Interesse an
der Ursachenforschung. Was hat hier auf einmal den Motor abgewürgt?? Hat
sich am Ende der Würger von Goresbridge in den Motorraum geschlichen? Also
Deckel auf, und noch ein Anlaßversuch- und da offenbarte sich das Malheur:
Der ansonsten topfit aussehende Keilriemen hatte sich an einer Stelle auf-
gespleißt und das abstehende Ende hatte bei Drehzahl eine solche Wucht,
daß er Bowdenzug nebst Verstellhebel der Einspritzpumpe zerstörte! Da geht
natürlich nichts mehr, und daher auch das Ticken.
Also wieder einmal warten auf die Rettungsmannschaft, die nach knapp 3
Stunden eintraf. Großes Erstaunen über Murphy's Werk auch hier, aber man
hatte alles dabei zum reparieren, und nach ca. 1 h ging's dann weiter, wo-
bei mich Mike noch als mobiler Schleusenwärter bis Bagenalstown begleite-
te, weil es natürlich schon spät am Abend war. Trotzdem konnte man an den
Spuren am Ufer noch sehen, welche gewaltigen Wassermassen sich hier herun-
tergewälzt hatten.
Manöverkritik:
Auf die Gefahr hin, daß Euren Computern nun der strenge Geruch von Eigen-
lob entströmt: Es war gut, bei Flußfahrt am bergwärtigen Ende den Anker
bereitzuhalten. Hunderte Male umsonst geschleppt, Kette klariert- hier hat
es sich rentiert!
Wie wäre das Fast-Unglück sonst noch zu verhindern gewesen? Natürlich wer-
fe ich bei Bootsübernahme immer einen gründlichen Blick in den Motorraum.
Einmal habe ich so schon eine mutterlose Motoraufhängung entdeckt
(schluck). Auch Zustand und Spannung vom Keilriemen gehört dazu. Aber wenn
die defekte Stelle entweder noch gar nicht da war, oder gerade unten lag,
schöpft man bei einem gesund aussehenden Keilriemen natürlich keinen Ver-
dacht. Also drehe ich fortan auch noch den Motor zum Keilriemencheck
durch.
Ach so, wo bleibt das Rätsel?
Das besteht darin, warum man sich nach so einem Erlebnis schon wieder auf
den nächsten Bootsurlaub freut?.
Aber Ihr wißt es doch: Bootsurlaub ist einfach das höchste. Man erlebt
was, hat die Bequemlichkeit eines Ferienhauses und ist trotzdem immer, Tag
für Tag, woanders.
Fast immer.