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Autor Thema: "Der Würger von Goresbridge" oder "Horror in der Morgensonne"  (Gelesen 4461 mal)

Offline bádoir

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"Der Würger von Goresbridge" oder "Horror in der Morgensonne"


Bevor  ich nun eine neue Schreckensstory zum besten gebe, muß ich zwei An-
merkungen vorausschicken, damit mir Pike & Kollegen nicht wegen Geschäfts-
schädigung auf den Pelz rücken.

Erstens sind das wirklich die einzigen zwei Erlebnisse der besonderen Art,
die  ich  hatte- und das in insgesamt 36 Wochen Bootsurlaub !  Statistisch
gesehen,  schlagen  die  irischen Leprechauns also nur alle 18 Wochen voll
zu, und das sind 4 1/2 Monate, eine lange Zeit.

Und  zweitens  wird der zaghaft gewordene Skipper auch hier sehen, daß man
mit etwas Überlegung und Ruhe immer noch das beste aus einer Situation ma-
chen kann.


Begeben wir uns auf die Reise

Es  geht an den wunderschönen Barrow. Ich war hier schon oft, und Ihr wer-
det  Euch  kaum vorstellen können, daß ich es noch nie bis St. Mullins ge-
schafft habe. Natürlich hätte ich es schaffen können, aber dann hätte ich,
um  bei  Sonnenaufgang  starten zu können, alle Livemusik -Abende in Vicars-
town versäumt, hätte einmal eine Einladung zu einer Geburtstagsfeier aus-
schlagen  müssen, wäre achtlos an den schönsten Plätzen wie Maganey, Mill-
town  and all den vielen anderen Stellen vorbeigerauscht. Keine Cassetten-
recorderaufnahme des arg angeheiterten Sängers in Monasterevan, keine nach
Deutschland  mitgebrachten Homebrewsets aus Carlow... kurzum, es ist nicht
mein Anliegen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang am Tiller zu stehen.

Aber  irgendwann  wollte ich doch mal den Barrow in ganzer Länge befahren,
und  reservierte 3 Wochen im Frühjahr 2003 für die Fahrt von Rathangan bis
St. Mullins und zurück. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht zu
schaffen wäre.

Es ging mit dem Teufel zu.

Nach  reibungslosem  Flug  und  Transfer erwarteten mich Karen und Mike am
Spätnachmittag  in  Rathangan schon mit einem Smithwick's. Der Torfofen im
Boot  war  trotz 20 °C Außentemperatur schon angeheizt (man weiß hier, was
wir  "continentals"  so  brauchen). So endete der Anreisetag ganz stilvoll
mit  etwas  Auspacken,  Vorräte einkaufen, und mit 2 Pints im Village Pump
"on  the  road"  ging es dann wieder aufs Boot, wo der Torfofen noch etwas
glimmte.

Am nächsten Tag ging dann die Reise durch den ginsterumsäumten Barrowkanal
los.  Den  "neuen"  alten  Hafen  von Monasterevan einweihen, Livemusik im
Anchor's  Inn  in Vicarstown, keine nassen Füße in Athy- alles klappte so,
wie man sich einen Bootsurlaub vorstellt.

Uns  so  ging  es auch auf der eigentlichen Flußstrecke vom Barrow weiter.
Ganz  normaler Wasserstand, kein Aufsitzen nach den Schleusenkanälen, aber
auch  keine  Sturzfluten,  die einen dort gleich ans Ufer drücken. Maganey
habe ich schon genügend gelobt, auch Carlow ist immer eine lange Pause und
eine Übernachtung wert. Weiter gings am Tag 6 der Reise Richtung Milltown.

Seltsamerweise  zeigte  das  GPS, das ich hier weniger zur Orientierung ;)
sondern  mehr  als Logaufzeichnung mitlaufen hatte, immer komischere Werte
für die Geschwindigkeit an. 12, 13 km/h. Soviel macht das Boot ja auch bei
Talfahrt nicht. Und dann, 15, 18 km/h. Wer hat den Perkins gedopt?? Es war
mir bald klar, daß das Wasser in der Zwischenzeit erheblich gestiegen war.
Etwas  unverständlich, weil in dem Gebiet fast nur Sonnenschein herrschte.
(Später erfuhr ich dann, daß es im oberen Einzugsgebiet des Barrow wolken-
bruchartige Regenfälle gegeben hat).

So fuhr ich sorglos mit weniger als halber Kraft und trotzdem flott meinem
Ziel St. Mullins entgegen. Natürlich hätte ich mit Dreiviertelgas bald die
20 km/h überschreiten können, aber das verkniff ich mir, denn wenn man mit
dieser  Geschwindigkeit  auf  einen  Felsen läuft, ist auch eine stählerne
Bootshülle überfordert.

Leighlinbridge,  ein  kleines  Dorf auf dem Land, war nächste Station, dann
ging's nach Bagenalstown, einer gemütlichen Kleinstadt.

Hier  gab  es am nächsten Tag so richtig deutsches Wetter. Also nicht die
Abwechslung  von  Schauer  und  Sonne  wie  sonst  in Irland, sondern grau
verhangenen  Himmel mit Nieselregen. Das war, dachte ich mir, der richtige
Tag,  um bis Graiguenamanach "durchzubrettern". Also kräftig Holz und Bri-
ketts  für den Ofen gekauft, und auf gings. Kaffeepause in Goresbridge und
etwas Füßevertreten im Ort, der mir bei diesem Wetter mit vielleicht 200 m
Sichtweite nicht besonders attraktiv vorkam.

Also  sollte es bald weitergehen. Telefonische Ankündigung beim Schleusen-
wärter  (wenn er es schon angeboten hat!). Aber leider, so sagte er, würde
es  heute  bis  Graiguenamanach zu spät werden. Normalerweise würde es ihm
auf  eine Viertelstunde nicht ankommen, aber heute müßte er noch irgendwo-
hin fahren, ich müßte also dann unterwegs übernachten. Natürlich hätte ich
die  verbleibenden  Schleusen  auch  selber machen können, aber bei diesem
Wetter?  Und der Ofen bullerte gerade so schön... Kurzum, ich blieb in Go-
resbridge,  weil der innere Schweinehund siegte. Ich sollte ihm noch dank-
bar sein.

Am  nächsten Morgen- wieder ganz irisch- schien die Sonne in die abziehen-
den  Nebelschwaden- ein Bild für Götter! Aber hoppla- wo ist die Ufermauer
geblieben?  Gestern  konnte ich landwärts nur mit Verrenkungen zum Fenster
rausschauen, heute habe ich freien Blick in den Ort ??

Klar-  das  Wasser war noch weiter gestiegen. Und zwar einen halben Meter,
und  der  Barrow  hatte eine Strömung, daß es an der Leeseite der Brücken-
pfeiler so richtig "schlürfte". An Weiterfahrt war da nicht zu denken.

Macht nichts. Ist ja Urlaub. Das läßt sich abwarten. So merkte ich mir ei-
nen  charakteristischen  Stein an der Kaimauer, um den Abfall des Hochwas-
sers  verfolgen  zu können und machte mich auf Erkundungstour. Der Ort sah
bei  Sonnenschein gleich viel schöner aus, Pubs, Läden, alles war da. Dann
gings  zu Fuß am Ufer entlang zur nächsten Schleuse, Lower Ballyellen. De-
ren  unterer Anleger verriet sich nur noch durch ein vorwitziges Stückchen
Geländer.  Aber ich hatte immer noch kein schlechtes Gefühl, was meine Ur-
laubsplanung anging.

Zurück  am  Anleger  Goresbridge  kam  der Schock: Mein Stein war weg! Das
heißt, er war noch da, aber er lag 40 cm unter Wasser! Der Barrow war also
nochmal  beträchtlich gestiegen. Ein paar Einheimische, die sich hier neu-
gierig  versammelt  haben,  versicherten  mir, daß sie so etwas - um diese
Jahreszeit zumindest- noch nie gesehen hätten.

Naja,  den  Tag  kann man verschmerzen, dachte ich mir. Was schnell kommt,
geht  auch schnell, und am nächsten Nachmittag würde es schon weitergehen.
Ich  merkte  mir eine kleine Farnpflanze an der Mauer als Pegelmesser, be-
sorgte  ein  paar  Vorräte  und testete ein Pub, wo man mir meine weiteren
Reisepläne  schon mal ausreden wollte. Zurück am Boot kamen mir auch Zwei-
fel: Mein Farn hat sich in eine Unterwasserpflanze verwandelt!!! So gab es
also,  nachdem  ich  ein halb losgerissenes Schiff vor mir gesichert hatte
einen gemütlichen Abend an Deck mit einem Buch über die Barrow-Schiffahrt.

Am nächsten Morgen war der Überblick übers Land noch besser, weil das Was-
ser  noch  weiter  gestiegen war. Insgesamt waren es, wie ich erfuhr, ca 1
1/2 Meter über Normalstand. Also gab es einen Stillieger - Tag.

Erst  am  Morgen des nächsten Tages war das Wasser etwas gefallen, aber es
ging  viel  zu  langsam. Natürlich wäre es kein Kunststück gewesen, weiter
flußabwärts  zu  fahren, aber wie wäre es dann zurück gegangen? So testete
ich  erst mal die erreichbare Geschwindigkeit flußaufwärts. Nach der näch-
sten Kurve war die Geschwindigkeit bei (fast) Vollgas exakt 0,0 km/h.
Also  zurückfallen  lassen und wieder anlegen. Und das Spielchen ging vier
ganze Tage so.

Da blieb ausreichend Zeit, um die Gegend zu erkunden, und ich sah, daß Go-
resbridge  entgegen  meinem ersten Eindruck ein Glücksfall war. Im Ort gab
es  alles,  was  man so braucht, und rundherum war blühende irische Hügel-
landschaft.  Fast  war es schade, daß am fünften Tag das Wasser soweit ge-
fallen  war,  daß  es weiterging. Angesichts der immer noch beträchtlichen
Strömung  habe  ich mir St. Mullins abgeschminkt. Das wäre stressig gewor-
den, und so ging es langsam wieder zurück, sehr langsam. Mit der sagenhaf-
ten  Geschwindigkeit  von 1 - 2 km/h (das GPS sprach bei diesem Tempo zwi-
schenzeitlich gar nicht an) ging es Richtung Upper Ballyellen Lock.

Der  Barrow rauschte gewaltig bei immer noch sehr hohem Wasserstand. Um so
erstaunlicher,  daß  es auf einmal so klickte, als würde man einzelne Kie-
selsteine  streifen.  Komisch.  Da  die Stelle mit den berüchtigten, jetzt
knapp  überspülten  Felsen  schon hinter mir lag, steuerte ich mehr in die
Fahrrinnenmitte- wo die Strömung natürlich noch stärker war. Und trotz der
Tiefe und einer Fahrt von 0,1 km/h: klick, klick!

Auf einmal: MOTOR AUS!!!!!!!!

Anlassen, kurzes Husten, wieder aus!

Nochmal anlassen: nicht mal ein Husten.

In  der Zwischenzeit hatte das Schiff natürlich längst die Geschwindigkeit
der  Strömung  angenommen  und  trieb so auf die Goresbridge Rocks zu- und
kurz  danach  wartete  die  massive  Brücke. "In no time", wie die Iren so
schön  sagen,  war  ich am Bug und ließ den bis jetzt immer umsonst herge-
richteten  Anker  sausen. Die Kette rauschte auch sauber aus; da sie recht
dünn  war,  stemmte  ich mich in den letzten Meter, um den Ruck wenigstens
etwas abzufangen.

Der Ruck kam nicht!

Anker,  die  teilnahmslos durch den Grund pflügen, sind dem Skipper natür-
lich  ein Graus, aber nach dreimal tief durchschnaufen merkte ich, daß der
Anker  doch soviel Widerstand aufbrachte, daß die Fahrt recht langsam wur-
de. Das erwartete Abknutschen der Felsen könnte also glimpflich ausgehen.

Nach  nochmaligem  Durchschnaufen machte ich eine Entdeckung: Wenn man die
gespannte  Kette  2 Meter von der Bugklampe zurücknimmt und aus der Boots-
mittellinie  Richtung  Stb hinaushält, stellt sich der Rumpf etwas schräg,
und  die Strömung drückt das Schiff nach Backbord Richtung Ufer. Also Moo-
ringpost an die Leine, Hammer herbei und das kräftezehrende Manöver durch-
geführt,  bis  eine  geeignete Stelle am Ufer vorbeikommt. Da war sie. Ich
legte  mich  auf  den  Bauch aufs Vordeck, machte die Arme so lang wie ich
konnte  und rammte den Pfosten mit einer Begeisterung in die irische Erde,
daß es die Australier an den Füßen kitzelte.

Geschafft.  Und  weil  ein Skipper erst dann zufrieden sein darf, wenn der
Kahn an mindestens zwei Punkten gesichert ist, rammte ich den zweiten Pfo-
sten auch noch rein und sicherte dessen Leine an der Mittelklampe. Puh.

Jetzt konnte ich Karen in Rathangan anrufen, die erst mal Mike aufstöberte
und  ihn  dann  mit  Helfer auf die lange Fahrt nach Goresbridge schickte.
Nachdem  sie  mich  an  dieser Stelle von der Straße aus nie sehen würden,
hißte  ich  die quietschorange Rettungsweste an der langen Bootsstange als
Erkennungszeichen. Zu allem Überfluß setzte auch noch Hagel ein, so verzog
ich  mich  unter  Deck, wo ich ganz intensiv über B&B - Urlaub nachdachte.
Aber  damit  war  nicht etwa der gleichnamige Kanal gemeint, sondern Bed &
Breakfast!

Als  der Hagel vorbei war, erwachte bei mir doch ein gewisses Interesse an
der  Ursachenforschung.  Was hat hier auf einmal den Motor abgewürgt?? Hat
sich am Ende der Würger von Goresbridge in den Motorraum geschlichen? Also
Deckel auf, und noch ein Anlaßversuch- und da offenbarte sich das Malheur:
Der ansonsten topfit aussehende Keilriemen hatte sich an einer Stelle auf-
gespleißt  und  das  abstehende Ende hatte bei Drehzahl eine solche Wucht,
daß er Bowdenzug nebst Verstellhebel der Einspritzpumpe zerstörte! Da geht
natürlich nichts mehr, und daher auch das Ticken.

Also  wieder  einmal  warten  auf die Rettungsmannschaft, die nach knapp 3
Stunden  eintraf.  Großes Erstaunen über Murphy's Werk auch hier, aber man
hatte alles dabei zum reparieren, und nach ca. 1 h ging's dann weiter, wo-
bei  mich Mike noch als mobiler Schleusenwärter bis Bagenalstown begleite-
te,  weil es natürlich schon spät am Abend war. Trotzdem konnte man an den
Spuren am Ufer noch sehen, welche gewaltigen Wassermassen sich hier herun-
tergewälzt hatten.


Manöverkritik:

Auf  die Gefahr hin, daß Euren Computern nun der strenge Geruch von Eigen-
lob  entströmt:  Es  war gut, bei Flußfahrt am bergwärtigen Ende den Anker
bereitzuhalten. Hunderte Male umsonst geschleppt, Kette klariert- hier hat
es sich rentiert!

Wie wäre das Fast-Unglück sonst noch zu verhindern gewesen? Natürlich wer-
fe  ich bei Bootsübernahme immer einen gründlichen Blick in den Motorraum.
Einmal   habe  ich  so  schon  eine  mutterlose  Motoraufhängung  entdeckt
(schluck). Auch Zustand und Spannung vom Keilriemen gehört dazu. Aber wenn
die  defekte Stelle entweder noch gar nicht da war, oder gerade unten lag,
schöpft  man bei einem gesund aussehenden Keilriemen natürlich keinen Ver-
dacht.  Also  drehe  ich  fortan  auch  noch den Motor zum Keilriemencheck
durch.



Ach so, wo bleibt das Rätsel?

Das  besteht darin, warum man sich nach so einem Erlebnis schon wieder auf
den nächsten Bootsurlaub freut?.

Aber   Ihr   wißt es doch: Bootsurlaub ist einfach das höchste. Man erlebt
was, hat die Bequemlichkeit eines Ferienhauses und ist trotzdem immer, Tag
für Tag, woanders.



Fast immer.
 
« Letzte Änderung: 16.08.2004, 09:06 von bádoir »