Shannon-Forum

Autor Thema: Flucht aus der Camagh Bay - Eine Gruselgeschichte  (Gelesen 5878 mal)

Offline bádoir

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Seit  zwei  Wochen schon liegt MS "Shannon" in der Camagh Bay vor Anker. Die
See  tobt  im  Sturm. Kapitän Stevie, der das Schiff durch Dick und Dünn ge-
steuert  hat, sieht keine Chance, aus dieser unheilvollen Bucht herauszukom-
men. Unweigerlich würde das Schiff an einem der zahlreichen Felsen zerschel-
len. Kaptein, sein Stellvertreter, hat ebenso Befürchtungen, das „Ding“ könnte Schlagseite bekommen, ganz ohne Buddel voll Rum.

Sven P. Ike, der mitfahrende Besitzer der bekannten Reederei, ist verzwei-
felt.  Keine  Chance,  an Land zu kommen, um Vorräte zu bunkern. Der Anleger
ist zu flach, obendrein hat man dort im Halbdunkel gefährliche, mit
glühenden  Kohlen werfende Ungeheuer  ausgemacht. Die Lage an Bord ver-
schlechtert  sich von Stunde zu Stunde. Chefmetereologe Holger hat nur noch Wetterfaxen im Kopf, Kombüsenchefin Meggy kann keinen germanischen Lachs mehr auftreiben, und Anni tramt schon vom nächsten Frühling. Marineschreiber bádoir hat den Bordhund auf dem Schoß  und  ist  schon  bei Seite 12735 seiner Aufzeichnungen angelangt.

Die Vorräte  sind  ausgegangen.  Kein Krümel Eßbares, kein Tropfen Trinkbares an
Bord.  Obermaat  Udo  beginnt  schon mitten in der Nacht zu phantasieren und
meint,  er  befände  sich  im  James(t)o(w)n Kanal. Der bekannte schottische
Schiffsarzt  und Versorgungsoffizier Doc Mc Adldee hat bei ihm eindeutig ei-
nen  Mangel  an Vitamin A diagnostiziert. Der altbewährte Seemann Peter ver-
sucht, mit schön geschmiedeten Silberscheiben die Götter zu besänftigen: Al-
les  umsonst. Die Stimmung an Bord ist auf dem Nullpunkt. Schiffsjunge Willi
muß  dringend  zum  Friseur, Chefnavigatorin Tina sitzt mit knurrendem Magen
gramgebeugt  über den Karten. Die Felsen, an denen sie bei schönem Wetter so
meisterhaft vorbeinavigiert hatte, sind ihr nun, nachdem der große Sturm ge-
kommen  ist,  zum  Verhängnis geworden. Ihre Karriere ist am Ende, jetzt muß
das Schiff nur noch heil auf die offene See kommen.

Eines  Nachts,  Obermaat Udo will sich gerade über die Flüssigkeit im Kompaß
hermachen,  nimmt das nervtötende Schlingern des Schiffs langsam ab. Maschi-
nist  Bulli  begibt  sich hoffnungsfroh mit einer kleinen Säge in den Motor-
raum,  um  die Maschine für den anbrechenden Tag auf Höchstleistung zu trim-
men. 2. Offizier Uve Karl befestigt seine heimlich gehorteten Eiswürfelsäcke
fest  in  der  Bilge, damit sie das krängende Schiff nicht gefährden können,
ja, und mit dem ersten Sonnenstrahl, da  soll es losgehen!

Mit dem ersten Sonnenstrahl?  -Mitnichten. Dicker Nebel verhüllt die Szene der
Morgendämmerung.  Nichts  ist zu sehen außer ein paar Krähen, die unheilvoll
krächzend vorbeiziehen. Sie wissen schon, auf diesem Schiff ist nichts eßba-
res mehr zu holen, außer wenn.......................

Schwere Entscheidung auf der Kommandobrücke. Kapitän Stevie, 1. und 2. Offizier sowie Reeder Sven beratschlagen ohne die in Ungnade gefallene Chefnaviga-
torin.  Längeres Warten würde die ersten Opfer an Bord bedeuten; wie schnell
ist  hier die Lästerpest ausgebrochen! Es muß gewagt werden. Das Risiko, mit
geringer  Fahrt  ohne  Sicht an einem Felsen entlangzuschrammen, muß in Kauf
genommen  werden.  Alles  ist besser, als noch einen Tag länger in der Hölle
von Camagh zu verharren.

Anker auf! so lautete der befreiende Befehl. Mit hurtig rasselnder Kette und
großem Schwung kommt der Anker an die Wasseroberfläche, so daß die Gallions-
figur "Sabine" ganz mit Schlamm bespritzt wird, und das Schiff nimmt langsam
Fahrt  auf.  Nicht  nur  die Felsen, auch die fehlerhaft gesetzten Marker am
Ausgang   der  verhängnisvollen Bucht lassen die Fahrt trotz ihrer quälenden
Langsamkeit zum riskanten Glücksspiel werden.

Da--- ein ohrenbetäubender Schlag! Alle, die die Kraft noch haben, schrecken
auf. Was war das?? Das Schiff bewegt sich noch, und die Maschine läuft unbe-
irrt weiter. Und wieder, aus den Tiefen des Nebels, ein harter, metallischer
Schlag,  und  noch  einmal.  An Bord beginnt Panik auszubrechen. Da gibt der
kalte  Dunst  für  einen kurzen Moment den Blick auf ein Arbeitsboot mit den
Initialen  "RJS" frei. Und im Näherkommen bestätigt sich die vage Vermutung,
er ist es tatsächlich: Rüdiger Steinacher, der unverdrossene Kontrolleur der
Marker! Nach vielen nutzlosen Briefen an die Behörden war er mit seinem Latein am Ende und hat zur Selbsthilfe gegriffen. Nun setzt er sein Lieblingsinstrument, die  unermüdliche
Dampframme  ein, um die Marker richtig zu setzen. Welch hoffnungsvoller
Augenblick! Der Maschinenlärm übertönt ein paar wüste Schimpfworte, und so zieht unter  ermattetem, aber glücklichem Winken der Mannschaft
die  "Shannon"  an der "Tyrolia" vorbei, wohl wissend, auf dem richtigen Weg
zu sein.


Chefnavigatorin  Tina  ist  rehabilitiert,  und, wie von Zauberhand berührt,
lichtet  sich  der  Nebel.  Nichts  spricht mehr gegen eine Überfahrt in die
Rosclare Bay, wo im nahen Killadeas endlich wieder Vorräte für die darbenden
Seeleute gebunkert werden können. Die aufgehende Sonne bricht sich ihre Bahn
zwischen Inis Doney und Inis Divan, - - - - doch was ist das??

Sie  beleuchtet eine Szene des Schreckens! Ein blaugrünes Schillern am nörd-
lichen  Horizont  läßt Grauenhaftes ahnen. Ja, es ist eine Horde der berüch-
tigten  Kampfenten,  die von ihrem nächtlichen Beutezug nach Enniskillen zu-
rückkehren.  Diese Monster machen mit ihren Exkrementen jedes Schiffsdeck so
schlüpfrig,  daß sich kein Seemann mehr hinauftraut und das Schiff führungs-
los dem Untergang geweiht ist.

Doch  der  brave  Maschinist Bulli bringt den Motor auf Höchstleistung, Tina
ruft "1 Strich über Ost", und so könnte die "Shannon" dem Unglück entkommen.
Aber  ein  klägliches  Miauen von Bordkater Garfield kündigt weiteres Unheil
an.  Triefnaß  und durchgefroren kommt er aus der Bilge gekrochen und so er-
kennt  2.  Offizier  Uve  Karl ein neues Malheur. Schlagartig wird ihm klar:
Seine  heimlich  gehorteten Eiswürfel haben sich in der Hitze des Maschinen-
raums  aufgelöst  und  das  restliche Eis hat die Bilgenpumpe verstopft. Gut
fünf  Handbreit Wasser in der Bilge, und die Kampfenten rücken gnadenlos nä-
her. Mit der Handpumpe ist dem nicht mehr beizukommen.

Da  hat  2. Maschinist Hubi eine geniale Idee: Zusammen mit dem Spezialisten
Christian  verlegt er den Ansaugschlauch der Motorkühlung direkt in die Bil-
ge, um das Wasser abzupumpen.

Es  klappt! Mit Macht saugt der Impeller das Wasser ab und damit auch die am
Grund  jeder  Bilge herumliegenden Schrauben und Muttern. Bei Höchstdrehzahl
dank  Bulli werden diese, Geschossen gleich, zum Auspuff hinausgeschleudert,
wo  sie  den  anrückenden  Kampfenten  den Garaus machen. Das Heckwasser der
"Shannon"  färbt sich blutrot, und das Schiff rauscht mit 30 Knoten dem ret-
tenden Ufer zu.

Doch  es kam, was kommen mußte. Das eiskalte Wasser aus der Bilge kühlte den
siedendheißen  Motorblock  so schnell herunter, daß er einen Riß bekam. Mit
einem  leisen  Knacks  und  einer riesigen Rauchwolke verabschiedet sich die
Maschine.  Manövrierunfähig  rast  das Schiff mit seinen 30 Knoten genau auf
Gublusk Point zu. Noch 200 Meter, noch 100, 50, 10 .........

Schweißgebadet  wache  ich  auf.

Es war der 31. Oktober, 1 Sekunde vor Mitternacht.

Also dann, Leute:

:)  HAPPY   :)  HALLOWEEN!  :)


Alle, die ich nicht erwähnt habe, bitte ich um Vergebung.
Erst recht alle, die ich erwähnt habe.

bádoir
 
« Letzte Änderung: 31.10.2005, 22:03 von bádoir »

Offline ukmueller

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Re:Flucht aus der Camagh Bay - Eine Gruselgeschichte
« Antwort #1 am: 31.10.2005, 17:42 »
2. Offizier??  no way!  Wenn ich schon nicht Kapitaen oder Reeder sein kann, dann hoechstens Passagier. Erste Klasse!
Sonst nehm ich meine Eiswuerfel und geh nach Hause.


Und noch was,  ist Halloween jetzt bei Euch ein offizieller Feiertag dass Ihr so viel Zeit habt????

Bei uns ist heute Abend Trick or Treat wobei die Kinder an der Haustuer betteln kommen. Der einzige Tag an dem ein Mannn meines Alters ungestraft sagen darf:  Come here little girl, I have some Candy for you..... ;D

beste Gruesse
Uve
« Letzte Änderung: 31.10.2005, 17:53 von ukmueller »
....and may I die in Ireland.

bulli

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Re:Flucht aus der Camagh Bay - Eine Gruselgeschichte
« Antwort #2 am: 31.10.2005, 19:16 »
Folks!

Lasst uns mal schön weiterfahren mit Kapitän Stevie auf der Shannon-Info mit mindesten 421 völlig verschiedenen Besatzungsmitgliedern und reichlich Passagiern aller Klassen.

Maschinist Bulli

Offline Stevie

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Re:Flucht aus der Camagh Bay - Eine Gruselgeschichte
« Antwort #3 am: 31.10.2005, 20:01 »
[...]Und noch was,  ist Halloween jetzt bei Euch ein offizieller Feiertag dass Ihr so viel Zeit habt????

Hi Uve,

aber sicher! Die östlichen Bundesländer nennen es allerdings Reformationstag und die Katholiken haben einen Tag Verspätung und nennen es Allerheiligen ;).

Halloween haben wir hier in Deutschland eigentlich eurem früheren "Cheffe" zu verdanken. Als Kompensation für den während des Golfkrieges 1991 ausgefallenen Karneval hat die Spielwarenindustrie dieses Fest nämlich kurzerhand importiert.

Übrigens ein Grund, warum ich es persönlich ignoriere (wie auch den von Fleurop irgendwann wieder auferweckten Valentinstag  ;) ).

Gruß Stevie

Offline bádoir

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Re:Flucht aus der Camagh Bay - Eine Gruselgeschichte
« Antwort #4 am: 31.10.2005, 21:52 »
Hallo Stevie und alle, die es auch noch interessiert,

Ja, der deutsche Hollow – Wahn ist auch nichts, womit ich was am Hut habe. Aber ihr solltet wissen, daß es auch in Deutschland eine kleine Insel mit Halloween-Tradition gab. Das war im Norden und Osten vom Landkreis München, wo es -erst wegen dem Flughafen Riem, dann wegen MUC II-  eine kleine, aber feine Irish Community gab, in der deutsche Hardcore-IRL-Fans herzlich willkommen und auch integriert waren. Shananingin´s hieß das Stammpub, da wurde alles mögliche gefeiert, St. Patrick sowieso (lange vor diesem Faschingsumzug in München), man konnte (lange vor Riverdance) irische Tänze  lernen und üben. Halloween war am Nachmittag Familientag mit Kinderspielen, dann trudelten um 16-17 Uhr die Berufstätigen ein, Livemusik gab es, craic go leór,  gerade so wie in Irland, und ebenso lange ging´s  bis in die wee hours; am St. Patrick´s Day ging´s dann auch schon mal  gleich wieder direkt in die Arbeit (?) *räusper* .

Als dann Halloween in D bekannt wurde, und die ersten neuen Gesichter auftauchten, freuten wir uns über deren Interesse, und es waren in der Tat noch Irland-Interessierte. Dann, im nächsten Jahr, wurden es schon mehr („Irland- ist das ein eigener Staat?“), und dann ging es rapide abwärts, d.h. Prozessionen schwarz gekleideter Teenies machten sich Richtung „Shananingin´s“ auf, es war ganz einfach nichts mehr. St. Kilians Parish war für dieses heidnische Fest auch kein Ausweichquartier, dann rief der Celtic Tiger die Iren heim (was mich für jeden von ihnen freute), das Pub machte zu- und das war´s dann.

Ach, das ist jetzt nostalgisch geworden. Aber wir sind hier ja im Geschichten-Thread. Diese ist aber wahr, und nicht geträumt- und vor allem, für mich lehrreich:

Wir erleben in jedem Irland – Urlaub, daß sich Irland verändert. Für mich ist die Shananingin´s-Story es eine wichtige Lehre, jeden Augenblick zu leben, nicht Vergangenem nachzuhängen, sondern das Jetzt  zu genießen. Das, was kommt, ist nicht besser- aus unserer Sicht zumindest.

Denn daß viele Iren nun wieder im Lande ein Auskommen finden, ist auch  ein positiver Aspekt. Das zu sehen, ist wohl ein Stück echter Freundschaft den Iren und Irland gegenüber.

In diesem Sinne vielleicht doch:

HAPPY HALLOWEEN!

bádoir
« Letzte Änderung: 02.11.2005, 05:46 von bádoir »