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Autor Thema: Zwei Haufen Asche in Belleek  (Gelesen 8961 mal)

Offline Panta Rhei

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Zwei Haufen Asche in Belleek
« am: 12.09.2007, 11:41 »
Es waren wunderschöne zwei Wochen. Eine Geschichte allerdings war fast gespenstisch:

Am Nachmittag unseres zweiten Tages hatten wir im idyllischen Hafen des netten Städtchens Belleek angelegt, die Pottery besichtigt (war nicht unbedingt unser Geschmack), noch ein paar Sachen eingekauft. Das Smugglers Creek war voll, keine Reservierung möglich, so dass wir uns auf einen schönen Abend im leeren Hafen von Belleek freuten.

Da sehen wir auf der Teerfläche neben dem Hafenbecken zwei große Aschehaufen, zwanzig Meter voneinander entfernt. Was sucht ein Schrottplatz neben dem Hafen? Wir schauen die Sache näher an und finden die verbrannten Überreste zweier Wohnwagen: die stählerne Unterkonstruktion, Spüle, Herdroste, auch einen Kinderwagen. Zwei Wohnwagen, die gleichzeitig brennen, noch dazu bei diesem Abstand?

Wir fragen einen jungen Mann, der mit seinen zwei kleinen Kindern am Hafenbecken spielt. Was war hier los? Er sagt: Ja, da waren "bad people" in den Wohnwagen, die im Ort hier geklaut haben. Auch bei ihm haben sie Öl geklaut. Tja, und: "We Irish strike back." Ich muss erst mal scharf nachdenken, um zu kapieren, dass er mit "bad people" nicht die Brandstifter, sondern die Bewohner des Wohnwagens gemeint hat. Ich frage, wann das passiert ist, und er sagt: "Last night". Und außerdem: "Also the Germans strike back." Ich war so baff, dass ich darauf verzichtet habe, ihm zu erklären, dass wir in Deutschland die Polizei holen, wenn jemand was klaut, und nicht einfach das Häuschen des Diebs anzünden.

Interessant war, dass keinerlei Absperrung, keinerlei Polizeimarkierungen am Tatort vorhanden waren. Entweder hatten die ihre Arbeit so schnell erledigt, oder, was ich befürchte, sind die gar nicht geholt worden. No cooperation with the british police.

Ihr könnt euch denken, dass wir keine Lust hatten, hier zu bleiben, sondern dass wir um halb sechs abgelegt haben und noch zurück bis Lusty More gefahren sind.

Bei aller Nordirlandseligkeit und mancher Ablehnung des Celtic Tigers drüben in der Republik Irland manchmal hier im Forum: Ich sag euch ehrlich: ich hab mich in dem Moment hinüber in die gute alte irische Republik gesehnt. Es waren hier zwar vermutlich keine Unionists und Republicans zugange, sondern es hat sich um eine Lynchjustiz an Travellers gehandelt. Aber jahrzehntelange Gewöhnung an Gewalt als normales Mittel des Umgangs miteinander haben hier schon gewaltige Spuren hinterlassen. Die Crumlin Road scheint es auch in Belleek zu geben. Sicher: Die weitaus meisten sehnen sich auch in Ulster nach Frieden und einer zivilisierten Gesellschaft. Aber dahin ist noch ein weiter Weg, und es muss sich sowohl in der Mentalität bei vielen und auch in der Akzeptanz von rechtsstaatlichen Umgangsformen noch manches ändern.

Das ist mein sehr subjektiver Eindruck. Das hindert uns nicht daran, wiederzukommen. Die Landschaft ist toll, ABC-Boats sind ausgezeichnete und sehr nette Leute, und die Gesichter und Blicke in Enniskillen werden irgendwann auch so offen sein, wie die in Carrick. (Vielleicht ist letzteres aber auch jetzt schon der Fall, und wir waren nur subjektiv noch geschockt von den zwei Aschehaufen in Belleek.)
« Letzte Änderung: 12.09.2007, 11:49 von Panta Rhei »
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Wolfgang

Offline tvs

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #1 am: 12.09.2007, 11:47 »
..., und die Gesichter und Blicke in Enniskillen werden irgendwann auch so offen sein, wie die in Carrick.

Hallo,

wie meinst Du das? Wir waren schon oft in Enniskillen unterwegs und haben nur positive Erfahrung mit den Nordiren gemacht...

Gruß, Tom

Offline Panta Rhei

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #2 am: 12.09.2007, 12:00 »
Hallo Tom,

man kann ja aus dem was ich berichtet habe schließen, was ich meine: Mir kamen nach diesem Erlebnis in Belleek viele Menschen auf den Straßen in Nordirland als sehr verschlossen und finster blickend vor.

Noch dazu die Fahnen in den Kirchen. Für mich als Christen hat der Glaube nichts mit irgendwelchen bescheuerten Fahnen zu tun.

Dann in den lokalen Zeitungen: Erst mal vier Seiten Bericht über irgendwelche Veteranenaufmärsche, Gefallenendenkmalseinweihungen und anderen Mist.

Sorry, es war so. Aber mir ist auch bewußt, dass so ein Erlebnis erst mal den eigenen Blick trübt und man plötzlich überall die Gewalt ahnt. Von daher weiß ich, dass so eine Aussage meinerseits höchst subjektiv ist.

Und ich weiß: Es gibt in Nordirland, wie überall auf der Welt, gute Leute und Deppen, und zwar überall in etwa dem gleichen Verhältnis. Aber jahrzehntelanges Leben mit der Gewalt hinterlässt sicher Spuren bei den Menschen.
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Wolfgang

Offline bádoir

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #3 am: 12.09.2007, 14:15 »
Hallo Wolfgang,

Dazu ein paar Anmerkungen:

Brandstiftung bei Travellers:

Irgendwo (Irland-Journal?) habe ich gelesen, daß es derlei auch schon in der Republik gegeben hat. Das macht das natürlich nicht besser.


Zitat
viele Menschen auf den Straßen in Nordirland als sehr verschlossen und finster blickend...

Ich habe auch schon versucht, Unterschiede zwischen den Menschen der Republik und Nordirlands auszumachen, aber ich wurde nicht fündig. Und wenn es einen solchen gibt, wird er wohl vom Unterschied: Tiefstes Hinterland / Land / Kleinstadt / Stadt überdeckt.


Zitat
Noch dazu die Fahnen in den Kirchen. Für mich als Christen hat der Glaube nichts mit irgendwelchen bescheuerten Fahnen zu tun.

Fahnen jeder Art fallen mir schon gar nicht mehr auf und interessieren mich nicht. Ich nehme immer ausreichend Vorrat an Tempotaschentüchern mit  8)


Zitat
Dann in den lokalen Zeitungen: Erst mal vier Seiten Bericht über irgendwelche Veteranenaufmärsche, Gefallenendenkmalseinweihungen und anderen Mist.


Vielleicht gab es wieder einen “hochaktuellen“ Anlaß aus dem September des Jahres 1700.

---


Nein, Wolfgang, ich will nichts schönreden. Der unmittelbare Eindruck (hier Belleek) prägt den Menschen. Es wäre traurig und nützlich zugleich, wenn wir anders gebaut wären.

Und leider ist es wirklich so, daß Menschen in Ländern, die lange Zeit unter einer Besatzung litten, ein gestörtes Verhältnis zur Gewalt haben: Zypern, Indien, Pakistan, die ganzen afrikanischen Kolonialstaaten usw. usw.

Und wieder und immer wieder wird erobert, einmarschiert, gebrandschatzt..........

bádoir







« Letzte Änderung: 12.09.2007, 14:18 von bádoir »

Offline Fritz

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Eigene Nord-Irland-Schizophrenie
« Antwort #4 am: 12.09.2007, 16:14 »
Hallo,

Ich muss sagen ich habe ähnliche geteile Gefühle, wenn ich im Norden unterwegs bin. Ich war das erste mal vor 7 Jahren in Irland, seitdem fliege ich pro Jahr mind. einmal, oft auch zwei bis dreimal hinüber, in die Republik wie in den Norden. Ich habe viele Irische Freunde, die ich gerne besuche, im Norden und im Süden, und viele von ihnen sind politisch aktiv, von Finna Gael über Irish Labour bis hin zu Sinn Fein. Ich habe mich mit der Politik, mit der historischen und der aktuellen, auseinandergesetzt und mir schon Stadtratssitzungen in den Border Counties in der Republik angehört, und mich von Bürgerrechtlern durch die Bogside in Derry, durch die trostlosen Vororte von Belfast und sogar Shortstrand führen lassen.

Einerseits ist die Landschaft toll, man hat über weite Strecken seine Ruhe, und man hat schon machmal das Gefühl, das alles noch ein bischen ruhiger läuft als in der Republik, gleichzeitig habe ich schon auch noch immer ein wenig das Gefühl, im vielerlei Beziehung im Hinterhof Europas zu stehen, und ich hatte auch schon mehrere negative Erlebnisse, von denn ich jetzt aber nur eines schildern will:

Ich war vor zwei jahren mit einem Dubliner Mietwagen unterwegs, hatte gerade Giants Causeway besichtigt und war auf dem Weg zum haus eines Freundes in Ballycastle. Auf der Küstenstrasse bildete sich ein Stau, hervorgerufen durch eine Strassensperre der Britischen Armee, es war ca. 1 Woche vor Beginn der "Marching Season" im Norden. Als ich an der Reihe zur Kontrolle war, kontrollierte der junge Soldat (lt. Schulterabzeichen 2nd Cardiff Fussiliers Regiment) ca. 5 Minuten alle meine Papiere (Österr. Reisepass und Führerschein, Mietwagenpapiere) ..... nur um mich danach alles noch einmal haarklein danach zu befragen, aber gut, damit konnte ich noch ohne Probleme leben.
Danach wurd eich jedoch zur Seite weitergewunken, denn ich müsse genau kontrolliert werden, da da so einiges nicht stimme bei mir: Mein Auto sei lt. Papieren ein Mietwagen, "but it looks like a bloody wreck" und ich selber zeige ihm zwar einen Pass eines "fancy european country". würde beim Reden aber klingen wie eine Mischung aus "some stupid yankee and a some damn Irish bastard" :-(
Was dann folgte, waren 30 Minuten wo ich konstant nicht wusste ob ich mich aufregen oder ich mich fürchten sollte, und ich ständig das Gefühl hatte, knapp vor der Verhaftung zu stehen. Es beschäftigten sich 4 Soldaten, darunter anscheinend ein 1 Offizier exklusiv mit mir. Ich wurde beschimpft, verhöhnt, wurde ungefähr 5 mal das selbe gefragt, musste Fragen zu meiner Person inkl. Religionsbekenntnis, Reiseroute, meinen Bekannten in Irland, deren Religionsbekenntnissen etc. ... über mich ergehen lassen, mein komplettes Gepäck wurde durchwühlt, wobei einer der Soldaten "leider" auf eine Wolfe-Tones und eine Dubliners-CD "irrtümlich" draufgestiegen ist, und ein im Gepäck gefundenes Buch des England-kritischen Autors P.J. O´Rourke "leider" in eine Schlammpfütze gefallen ist ...
Ich habe mich zum ersten Mal in vielen Jahren so richtig gefürchtet, und ich glaube jetzt zu verstehen, wie sich z.B. mancher Afrikanischer Mitbürger bei uns manchmal vorkommen muss. Das ganze endete dann damit, das mein gesamtes Gepäck neben meinem Auto ausgekippt wurde, meine Papiere daneben im Dreck landeten und man mir empfahl, to "get your stuff together and get your catholic ass back down south were you bastards belong to" ...

Ich war sprachlos ! Mir standen die Tränenn in den Augen, ich zitterte und war zu keinem vernünftigen Satz mehr fähig. Mein Irischer Traum und mein Idyll waren von ein paar Vollidioten in 45 min. zu Fall gebracht worden, und hätte ich meinem Freund nicht am Morgen versprochen, das wir heute abend zusammen im Pub nach langen Jahren wieder einen heben werden, ich hätte am liebsten wieder umgedreht und wäre so schnell wie möglich wieder über die Grenze nach Donegal verschwunden!  So aber bin ich ein paar Minuten im Auto sitzen geblieben, um mich wieder zu fangen, und bin dann Richtung Ballycastle weitergefahren. Und als ob der Gegensatz nicht größer sein könnte, hatte ich dort einen der nettesten Abende aller Zeiten. Als ich von meinem Erlebnis erzählte, waren alle genauso geschockt, daß mir das als Tourist passiert, und jeder war supernett und superbesorgt um mich, und alle haben klargestellt, das sie, Republikaner oder Loyalist, das nicht gutheissen, und so ist der Schreck langsam wieder davongegenagen, aber ich muss sagen, sogar letztes Jahr noch merkte ich wie mir plötzlich der Schweiss auf der Stirn stand, als uns bei der Fahrt mit dem Transferbus die altbekannten gepanzerten Landrover entgegenkammen, und die meldung über den Britischen Truppenabzug hat mich unheimlich gefreut.

Noch ganz kurz zur Nachgeschichte des Erlebnisses: Ich habe in Wien dann natürlich eine Beschwerde an den Militärattache der Britischen Botschaft über den Vorfall geschickt, gekommen ist lange nichts, nach ca. 2 Montaen kam ein 4-zeiliger Brief eine "Public relations officers" des betreffenden Regiments aus Cardiff, in dem er schrieb, das man die Beschwerde geprüft habe, sich jedoch keienr der an diesem Checkpoint an diesem tag Diensthabenden an so einen Vorfall erinnere, und man daher nichts weiter tun könne, ausser zu bedauern "... daß es Zivilpersonen manchmal leider am notwendigen Verständnis für die notwendigen strikten Abläufe innerhalb militärischer Operationen fehle" ..,. das war dann er zweite Schlag ins Gesicht, ich bin der sache aber nicht mehr weiter nachgegangen, da ich befürchtete das dies Freunde von mir in NI in Schierigkeiten bringen könnte, deren Namen gefallen waren.

Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, ich will das nicht verallgemeinern, mir ist schon klar das ich an dem Tag wahrscheinlich einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war, und die wohl größten Volltrotteln in Britscher Uniform gerade gemeinsam Dienst hatten, aber solange solche Dinge passieren können, und dann auch noch offiziell gedeckt werden, und heir ist jetzt die Paralelle zu ziehen zu den abgebrannten Wohnwägen, solange wird es immer einn Unterschied geben zwischen Norden und Süden, und wenn die mit mir schon so umspringen, will ich gar nicht wissen was für Erfahrungen manche Einheimsche an diesem Checkpoint an diesem Tag gemacht haben werden. Und schon hat die IRA ein paar Unterstützer mehr, und der Schaden der damit im Tourismus angerichtet werden kann, ist kaum bezifferbar, weil mir ist das egal, das wird mich nicht davon abhalten, wieder dort hin zu fahren, aber für Otto-Normaltourist ist das ein Grund für jede Menge Negativ-Presse und die Arbeit vieler, die sich für NI engagieren, ist mit einem Schlag beim Teufel  ...

Zum Ausgleich möchte ich jedoch auch noch was positives loswerden: Ich musste letztes Jahr auf der Polizeistation in Enniskillen eine Zeugenaussage bei der PSNI zu einem kleinen Unfall (nur Materialschaden, wir waren nicht beteiligt) zwischen einem Britischen Armee-Schlauchboot und einem Nordirischen Privatboot machen. Und abgesehen von der Tatsache, das alle meine Daten schon im Polizeicomputer vorhanden waren, war die Stimmung sowohl von der Seite der PSNI als auch des anwesenden Officers des Royal Engineers Corps absolut freundlich und korrekt, die Sache war in 30 Minuten erledigt und mir wurde sogar angeboten, das mich danach ein Armeewagen zurück zu meinem Boot bei der immer offenen Schleuse oberhalb von Enniskillen bringen würde, ich hab dann doch lieber ein Taxi genommen ...

mfg Fritz
« Letzte Änderung: 12.09.2007, 16:18 von Fritz »

Offline Stevie

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #5 am: 12.09.2007, 19:27 »
Hallo Fritz,

heftige Geschichte, aber wie ich denke ein übler Einzelfall. Aber ich habe trotzdem nichts dagegen, dass der Großteil dieses Trachtenvereins inzwischen abgerückt ist! Die nordirische Polizei ist da aber ganz anders drauf. Die habe ich immer nur sehr freundlich erlebt, insbesondere wenn man als Tourist wahrgenommen wurde.

Gruß Stevie

Offline Fritz

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #6 am: 12.09.2007, 20:11 »
Gebe ich Dir absolut Recht, ich glaube auch das sich beim PSNI mehr als nur ein Namenswechsel vom alten berüchtigten "Royal Ulster Constabulary RUC" eingestellt hat, es besteht inzwischen auch eine wesentliche ausgeglichenere Mischung der Religionen innerhalb des Polizeikorps, und inzwischen stammt auch die Mehrheit der Beamten wieder aus den Regionen, wo sie Dienst machen, im Vergleich zur Situation z.B. vor noch 10 Jahren, wo vor allem die höherrangigen RUC-Beamten hauptsächlich Pendler von der Englischen Mutterinsel waren, deswegen habe ich auch das Faktum so herausgestrichen, das die Deppen am Causeway eben Soldaten waren!

mfg Fritz

Offline Frank & Steffi

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #7 am: 12.09.2007, 21:28 »
Hallo Wolfgang, hallo an alle,

auch wir hatten dieses Jahr in Belleek ein "eigenartiges" Erlebnis diesr Art!
Wir sind im selben kleinen Hafen wie Wolfgang eingelaufen, ebenfalls alleine.
Es war herrlich ruhig und friedlich; an Land nur ein einsamer, kleiner Wohnwagen
ohne "Zugmaschiene" - Die Touris waren wohl gerade auf "Landerkundung".
- Weit gefehlt! - Plötzlich kamen zwei Polizeimotorräder ein Streifenwagen und
ein Zivilfahrzeug der Polizei an und "umstellten" den Wohnwagen.
Die "Bewohner" wurden dann draußen vernommn. Es waren zwei ziemlich leicht
bekleidete jüngere Damen. Aha, dachte wir, gibt´s DIE also auch hier -
und das trotz katholizismus und so... Was uns irritierte war zum einen daß die
zweite junge Dame ein kleines Baby "bei der Arbeit" dabeihatte und zum anderen
der sehr rüde Umgang der Polizei mit den Beiden.
... Nun ja, das klärte sich dann am Abend im Pub auf: Es waren keine Prostituierten
sondern "Travelers", die ihre "Zeit" überschritten hätten (sie dürfen nur eine kurze Zeit
am selben Ort sein und werden dann "verjagt").
Die Sippe war auch schon weg, nur eben dieser kleine Wohnwagen noch nicht!
Konnte auch nicht, sein "Zugfahrzeug" stand nämlich zerschrottet zwei Straßen weiter!!!
... Am Vorabend unserer Ankunft war da nämlich ein "kleiner Disput" zwischen zwei rivalisierenden
"Travelers-Gruppen" (?schreibt man das so, oder sind das eher Travelers-Familien? - keine Ahnung),
bei dem ein Wohnwagen der einen Seite und ein Auto der anderen Seite zerstört wurden.
-- So die Auskunft der Einheimischen im Pub. -- Wir sollten uns auch keine Sorgen machen, das
hätte man hier schon alles im Griff!
Jetzt, nach Deinem Posting Wolfgang verstehe ich (leider), WIE das gemeint war!  :o :'( >:(
Wir selbst konnten allerdings keinerlei "härtere Umgangsformen" oder anderweitige negative Erlebnisse
mit den Nordiren feststellen, ganz im Gegenteil: uns kamen die Menschen hier doch noch etwas "irischer"
vor (bzw. was man dem Klischee nach für irisch hält). Was bestimmt nur an der größe der Orte liegt, die
wir in der Republik und dann in Nordirland besucht haben. (Diesen Eindruck (Stadt-Land-Gefälle bei der Freundlichkeit und "irischheit") hatten wir auch schon 2001 und 2005!) -> Aber, das können andere bestimmt
viel besser beurteilen, dafür sind wir LEIDER VIEEEEEL zu selten da!!!  :'(

Ich kann mich in meinem Résumé nur den "Vorschreibern" anschließen: Auch uns hat es am Erne unglaublich
gut gefallen; auch wegen den Leuten dort!
Und daß eine so lange Besatzung Spuren hinterlassen hat ist auch nur zu verständlich; bleibt zu hoffen, daß
der "Schritt" zur Normalisierung bald vollständig getan ist!  :)

Schönen Abend
Frank
... und sind wir nicht daheim, dann sind wir auf dem Sonnendeck - oder wenn´s ganz arg regnet auch mal unter Deck ;)

Offline Panta Rhei

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #8 am: 13.09.2007, 19:51 »
Hallo Fritz, hallo Frank,
vielen Dank für eure Geschichten. Ich finde es gut, wenn man die Länder, in die man reist, nicht nur als Postkartenidylle oder Landschaftsparadiese kennenlernt, sondern auch die realen Probleme und Abgründe wahrnimmt. Manchen wird das vielleicht abschrecken, bei mir ist es glaub ich eher so, dass es zu einem intensiveren Verständnis und eher zu einer noch tieferen Beziehung führt. Statt oberflächlicher Irlandschwärmerei, in die ich auch manchmal verfalle, ein differenzierter Blick. Erkennen, dass mir manches ganz schön fremd vorkommt, aber auch "compassion". Die Geschichten zeigen mir, dass dort reale Menschen mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten leben. Geschichten, die den einen oder anderen Leberschaden, die eine oder andere Lachfalte, aber auch ganz schöne Narben hinterlassen haben. Jetzt hab ich mich aber geschwollen ausgedrückt, oder?
Ein herzliches Ade aus Oberfranken!
Wolfgang

Offline Frank & Steffi

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #9 am: 13.09.2007, 21:06 »
Hallo Fritz, hallo Frank, ...
...Jetzt hab ich mich aber geschwollen ausgedrückt, oder?

 :D ... Nein Wolfgang, ganz und gar nicht! -> nur verliebt  :-[ ;D ... so wie wir alle, die wir dieses
verrückte (leider wohl auch wörtlich zu nehmen!  :'( ) Land und Völkchen soooo gerne besuchen!

Du sprichst Steffi und mir, und mittlerweile wohl auch Tim (jedemal, wenn ich Irlandphotos sortiere,
kommt er angedüst, und "will da wieder hin!!!") da ganz aus der Seele!

Auf bald
Frank
... und sind wir nicht daheim, dann sind wir auf dem Sonnendeck - oder wenn´s ganz arg regnet auch mal unter Deck ;)

Offline tvs

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #10 am: 13.09.2007, 23:14 »
Hallo,

wir haben dieses Jahr überlegt nach Irland auszuwandern...
Die neue Häusersiedlung in Tarmonbarry ist fertig und gefällt uns ganz gut. Aber zum dort Leben ist das nicht ganz das was wir uns vorstellen. Bei einem Immobilienmakler hat uns ein Haus mit Grund am Lough Derg gut gefallen (bis auf den Preis! :o).
Meine Frau will unbedingt nach Enniskillen. Dort gefällt ihr einfach alles  ;D
Letztendlich ist es hauptsächlich ein berufliches Problem und daran scheitert es wohl auch.
Da müssten wir schon vorher im Lotto gewinnen. Treure Häuser, Boot teuer und nicht mehr arbeiten wollen... :D :D
Nach langen Gedankenspielen sind wir zum Entschluss gekommen, dass es momentan doch eher bei Urlauben bleiben wird... ;)
Ich muss gestehen, dass ich NI lieber mag und auch die Leute (lieber kann man hier nicht sagen) dort. Da wir schon öfters die englische Mentalität kennengelernt haben, wundern wir uns im Norden wahrscheinlich etwas weniger.
Ich bin der Meinung, dass bei einigen Engländern und auch Nordiren manchmal die Schwelle zur Aggressivität recht niedrig ist. So kommen mir auch solche Handlungen vor.
Was ich nicht ausstehen kann, ist die Überheblichkeit und das Ausspielen von Macht der Polizei oder Militärs. Leider habe ich diesbezüglich schon mehrere Erfahrungen in unterschiedlichen Ländern machen müssen und glaube dass das kein spezielles NI-Problem ist.

Fritz, ich weiß nicht, ob ich mich da noch zurückhalten hätte können. Aber was wäre passiert? Sie hätten mich für min. eine Nacht mitgenommen... >:( Da ist man machtlos und deswegen ist es besser ruhig zu bleiben.....
Hut ab...

Gruß und Gute Nacht, Tom

Offline Fritz

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #11 am: 14.09.2007, 14:14 »
Ja ja, die Auswanderei ... Auch so ein Traum, den ich schon ein paar mal geträumt hatte, aber dann doch immer wieder verworfen habe. Ich hab gerade wieder eine Bewerbung für einen Job in Navan laufen, wo ich nicht weiss ob ich mich freuen oder fürchten würde, wenn ich eine Zusage bekäme ...

Ich gebe Dir übrigens recht, ich hatte auch schon meine versch. Erfahrungen auf der elt gemacht, ich hab z.Teil in Israel studiert und war auf Auslandseinsatz am Balkan, aber das sowas in Westeuropa, in einem Partnerland in der EU passiert, hat mich doch hart getroffen !

Und zum Thema ruhig bleiben: Du hast recht, es war nicht einfach, aber ich habe ähnlich gedacht: es war zu dem Zeitpunkt wieder ein Security Act in Kraft, sie hätten mich also ohne Angabe von Gründen bis zu 24h einbuchten können, und danach des Landes verweisen, was ich abolut nicht riskieren wollte, ausserdem war ich doch ziehmlich eingeschüchtert, denn als ich einmal ganz am Anfang mich kurz aus meiner "Hände ans Fahrzeug" Position aufrichtete, um gegen das "Durchwühlen" meines Koffers zu protestieren, konnte ich kontrollieren, ob die Herren am Morgen ihre Waffen korrekt gereinigt hatten den ich hatte drei Enfield-MG Läufe 10 cm vor meiner Nase, das erstickt jede Idee von Aufbegehren im Keim ....

mfg Fritz

Offline tvs

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #12 am: 14.09.2007, 14:30 »
...aufrichtete, um gegen das "Durchwühlen" meines Koffers zu protestieren, konnte ich kontrollieren, ob die Herren am Morgen ihre Waffen korrekt gereinigt hatten den ich hatte drei Enfield-MG Läufe 10 cm vor meiner Nase, das erstickt jede Idee von Aufbegehren im Keim ....
Hallo Fritz,

das gibts ja nicht!  :o :o
Totale Spinner. Kann Dir nachfühlen....

Gruß, Tom

Offline Fritz

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Re: Zwei Haufen Asche in Belleek
« Antwort #13 am: 14.09.2007, 14:44 »
Teilweise kann ich es auch verstehen, ich glaube da spielt sehr viel eigene Unsicherheit der Soldaten auch eine Rolle. Ich habe die Jungs auch z.B. auf Patrollie in Belfast gesehen, das sind teilweise 19-20 Jährige, für die die Armee nicht viel mehr als ein Ausweg aus der Arbeitslosigkeit war, und die nun bis an die Zähne bewaffnet nach NI geschickt werden, und dort 6 Monate lang in einer Umgebung Dienst machen, von der ihnen von ihren Vorgesetzten eingetrichtert wird, das hinter jedem Fenster ein IRA-Scharfschütze sitzen kann, der 10x mehr Erfahrung und vor allem Entschlossenheit hat, was auch das einzig Wahre an der Geschichte ist, oder das jedes Auto, an dem sie vorbeigehen, im selben Moment explodieren könnte ... das gemeinsam mit der Entfernung von Zuhause, den trostlosen, fensterlosen Bunkerunterkünften (zumindest in Belfast und Derry), den mangelnden positiven Kontakten zur Bevölkerung, zumindest zu einer Hälfte, dem eintönigen Dienst und ein bischen falsch verstandenem Männlichkeitsgehabe der Kameraden und dem Gruppendruck, da kommt schnell eine explosive Mischung raus, ohne das man selbst ein gar so fieser Charakter sein muss...

Greets, Fritz