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Autor Thema: Green Farm Festival 2016  (Gelesen 4458 mal)

Offline bádoir

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Green Farm Festival 2016
« am: 28.06.2016, 14:22 »
Hallo zusammen,
es ist Zeit, meine Berichte zum Green Farm Festival s. Ankündigungen
http://www.shannon-forum.de/index.php?topic=6396.0
zu aktualisieren, der letzte ist immerhin schon 5 Jahre alt.

Der Genialität des Ortes ist auch 2016 nichts hinzuzufügen. Mitten in der Landschaft steht  an einer (leider nicht schiffbaren) Wasserstraße (Bild 1)  der Hauslerhof, der auch für viele andere Veranstaltungen gut ist. Gerade bei Temperaturen wie am Samstag (30°C) weiß man den angrenzenden Badesee (2) zu schätzen. Von einem Biergarten unter Kirschbäumen hat man auch einen guten Blick ins Zelt mit der Bühne für die Tänzer/innen. (3) (4)

Einzig befremdlich war heuer, daß bei diesem  M u s i k festival wegen der Übertragung eines Fußballspiels das Programm verschoben und gekürzt wurde. In den 50er Jahren, als für einen Videorecorder ein durchschnittliches Jahresgehalt fällig war, hätte ich dies hier als soziale Großtat gerühmt. Aber heute, wo ein Videorecorder, der selbständig aufnimmt, für unter 150 € zu haben ist ??? - ich verstehe es nicht.

Die Bewirtung ist perfekt organisiert. Neben einheimischen Getränken gibt es auch Guinness, Kilkenny und Cider. Auch die Küche hat sich erfolgreich um irisch inspirierte Rezepte bemüht. Hervorzuheben ist auch die Freundlichkeit des Personals, auch wenn es mal Gedränge gibt (5). Wenn man mit der Frage "mogstnoahoibe?" ein perfekt gezapftes Guinness bekommt, ist man vollends  im weiß - blau - grün - orangenen Universum angekommen.

Was hat sich geändert seit meinem ersten Bericht? Von den ursprünglich 5 Bühnen sind leider nur 3 übriggeblieben. Zugegeben, bei 5 Bühnen hatte man oft die Qual der Wahl, aber die Seebühne vermisse ich schon schmerzlich- natürlich nur bei gutem Wetter.

Der Eintritt stieg von 5 / 10 € (Tag/Wochenende) auf 12 / 20 €. Nur auf den ersten Blick eine gewaltige Steigerung, denn die ursprünglichen symbolischen Preise waren wohl kaum haltbar. Wer das GFF langfristig erhalten will (und wer will das nicht?),  muß das Ganze auf eine wirtschaftliche Grundlage stellen. Man vergleiche - nur als Beispiel-   die Preise mit denen in der Balver Höhle.

Ich habe ja das Privileg, in der Nähe zu wohnen. So ging es 11,5 km mit dem Fahrrad über  stilvoll in grün - weiß - orange geschmückte Kartoffelfelder (6)  zum Ort der Verheißung.


Dort erwartete mich schon die BURNING BISQUIT BAND. (7)

Die verkokelten Kekse sind bewährter Bestandteil des Green Farm Festivals (GFF), und das zu Recht. Handwerklich solide irische Musik ohne Gimmicks ist ihr Markenzeichen. Heuer erstmals beobachtete Verirrungen (Kasatschok usw.) seien verziehen in der Hoffnung, daß es dabei bleibt.

Als nächstes hatte BORA BARAGANO  seinen Auftritt, der sich mit dem Deutsch-Iren BRIAN HAITZ (Begleitgitarre) zusammentat. Egal, wieweit man Asturien nun zu den "Celtic Cousins" (Irlandjournal) zählt; seine Musik hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der irischen und ist vor allem (was auch viel wichtiger ist) wirklich gut. Er spielt Flöte, Uillean Pipes und asturischen Dudelsack. Letzterer unterscheidet sich von den irischen Uillean Pipes, daß er mit dem Mund geblasen wird und nur eine statt drei Bordunpfeifen besitzt. Gemeinsam unterscheiden sie sich vom schottischen Pendant durch etwas leisere, zartere Töne, die das Instrument innenraumtauglich machen.
Bora Baragano beherrscht alle Instrumente meisterhaft. Bei seinem Vortrag hat man so richtig das Gefühl, er will etwas "erzählen" und nicht nur eine Melodie rezitieren. In der Formation vom GFF gibt es keine CD, hörenswert ist aber auch "Where I Could go", s. seine Homepage.


THE OTHER SCYTHE- REUNION

Pardon, ich muß abschweifen. Paul Daly, Musiker und "Publican" ist hierzulande eine Institution. Seit er sich hier in der Gegend vor über 25 Jahren etabliert hat, versorgt er die Szene, so von Anfang an auch mich, regelmäßig mit Speis, Trank und irischer Musik, manifestiert jeweils in verschiedenen Pubs und Bands.

Noch vor dieser Zeit, 1981,  gründete er in Irland eine Band THE OTHER SCYTHE. Auf vielen, an "keltische" Ornamente erinnernden, verschlungenen Pfaden verschlug es ihn ein Jahrzehnt später nach Bayern, wo er auch seine Gabi kennenlernte. Nun war eine gewisse Stetigkeit angesagt, und so wurde er Betreiber einiger Pubs und eines Großhandels in Bayern. Seine Verdienste um irische Pub - und Musikkultur müssen wirklich gewürdigt werden; er hat eigentlich ein Denkmal zu Lebzeiten verdient.

Wo war ich stehen geblieben?
Achso, bei der Musik.

Jetzt kamen also die Musiker der Alternativ-Sense mal wieder zusammen unter dem Namen THE OTHER SCYTHE  - REUNION. Nicht nur historisch, auch musikalisch eine interessante Sache, wie alles, was Paul Daly in die Hand nimmt - wenn da das kleine Problemchen mit Rosena Horan nicht gewesen wäre.

Ich muß schon wieder abschweifen.

Ungern, aber heftig erinnere ich mich an den Anfang der 90er Jahre, wo eine Sängerin im J.J. Houghs in Banagher  ihre offensichtlich verhinderten Ambitionen auf eine  Opernkarriere dadurch kompensierte, daß sie harmlose irische Lieder zu Möchtegern - Arien pervertierte.
OK, man mußte ihr zugutehalten, daß sie den Bootstouristen den Abschied von Irland erleichtern wollte.
Allein, bei mir half es nichts. Ich interessiere mich nach wie vor für Irland und seine Musik. Nur um J.J. Houghs mache ich einen Bogen. Nicht nur das, ich kann nicht ausschließen, daß ich mir seitdem  bei der eiligen Vorbeifahrt am Anleger in Banagher regelmäßig eine Geschwindigkeitsüberschreitung zuschulden kommen ließ.

Aber nun endgültig zur Sache.

Warum nun Rosena Horan sich beim gemeinsamen Gesang  nun diese Art der Folk-Groteske zu Eigen machte, ist mir ein Rätsel. Solange sie solo sang, war ja alles bestens.

Im richtigen Leben tritt sie  hauptsächlich in ihrer Wahlheimat Frankreich  auf, wo sie sich als solide Botschafterin irischer Musik verdient macht. Auch ihr früherer Auftritt beim GFF gehörte in diese Kategorie und ließ nichts Böses ahnen.

Liebe Rosena, d a s  war nicht ganz das Wahre-  du solltest deine Mitsänger nicht so platt an die Wand trällern, daß man sie hinterher von selbiger abkratzen muß!
Ich weiß, du kannst es besser. (Pssst, ein Geständnis: Mein Bestechungsguinness an den Tontechniker ging ins Leere. Er war Ciderfan, Mist aber auch!!!)



ADAS

Die Homepage http://www.adas-cuento.de/ mit allerlei Hinweisen auf Feen, Mythen, Mittelalter usw. bringen einiges Kräuseln auf die Stirn- egal, der Auftritt auf dem GFF war große Klasse.
Am stärksten, wenn sie als Trio sangen. So perfekt, daß man denken konnte, daß die Mädels über ein Synchronkabel verbunden wären. Waren sie aber nicht, sie konnten es einfach, und das sehr gut. Auch ergänzten sie sich in ihren Stimmlagen hervorragend.


THE LED FARMERS

Die Leuchtdiodenbauern hätten sich besser an der energiefressenden Glühbirne in der Stallbeleuchtung orientiert. So investierten sie die eingesparte Energie leider in die PA - Anlage. Irische Gassenhauer als Beiwerk zu einem alles beherrschenden Schlagzeug, in diesem Selbstverständnis in Musikerkreisen auch als "Schießbude" bezeichnet..........

oh, sorry, ich will es positiv sehen, also noch einmal:

Discogeschädigte Spätpubertierer, die den Ersatz des Hörorgans vom abgestorbenen Trommelfell durch die  Bauchdecke als evolutionären Fortschritt betrachten, kamen voll auf ihre Kosten.

Auf alle anderen wirkte die Zentrifugalkraft einer professionellen Wäscheschleuder, um dieser Art des Trommelfellpiercings zu entkommen.



MORE MAIDS

Heuer standen  die More Maids unter einem ungünstigen Stern: Der Auftritt am Samstag wurde Opfer eines 1 1/2 stündigen Wolkenbruchs. Den zweiten Auftritt am Sonntag früh um 1015 Uhr verkniff ich mir, weil ich mir sicher war, daß es hinterher noch eine Session im hofeigenen Pub gab. Aber das wurde leider nichts.

Nichtsdestoweninger haben es die drei verdient, erwähnt zu werden, denn sie waren sicher so gut wie eh und je bei ihren Auftritten beim GFF
 
Irgendwie haben die Mehrmädels ihren Namen zu Recht gewählt, denn man meint mit geschlossenen Augen, daß da wirklich mehr Mädels am Werk sind. Spielfreude, Vielfalt und musikalisches Können dieser deutschen Gruppe würden sie auch in Irland zur Oberklasse gehören lassen.  (CDs gibts auch!)



GANAIM

Vielversprechender Neuzugang in der Szene. Zu gekonnter Musik kommen launige Ansagen von Thomas "Pinto" Heuer- ganz in irischer Tradition. Alle Fragen rund ums Bandleben werden gerne beantwortet, vielleicht auch, weil man Saskia schon ein Loch in den Bauch gefragt hat ( 8 ) Gerne auch wieder 2017.


TRASNU & RUIG

Auch diese Gruppe zeigt, daß auch im hohen Norden Deutschland gute irische Musik gemacht wird. Schön, daß sie den Weg in den Süden nicht scheuen. Guido Plüschke, bekannter Bodhran - Lehrer, hat bei der World Bodhrán Championship 2008 immerhin den 3. Platz belegt. Auch bei einem Wettbewerb Hamburger Sprüche in Süddeutschland würde er auf dem Treppchen stehen.


CLAYMORE PIPES & DRUMS

Schottisch - deutsche Bagpipe Band. Originalkostüme und Auftreten lassen vergessen, daß mehrheitlich Deutsche dabei sind- allerdings unter fachkundiger schottischer Anleitung (9)

Zwei Vorstellungen verbinden sich für uns mit dem schottischen Dudelsack: Laut und schrill.

Laut: Nun ja, dazu wurde er erfunden. Während bei der leisen Blockflöte die Luftsäule selbst in Schwingung kommen muß, sorgen beim Dudelsack ein oder zwei Zungen (Rohrblätter) für periodische Unterbrechung des Luftstroms. Eine willkommene Erfindung aus Zeiten, in der Elektrizität und erst recht Verstärker unbekannt waren. Damit setzt sich das Instrument auch im Freien (wofür es vor allem gedacht ist) souverän durch.

Schrill: Das Attribut ist etwas ungerecht, denn in Innenräumen mit meist ungünstiger Akustik für die hohen Töne kommt der Eindruck zwangsläufig zustande.

Ja, und dann kommt Können dazu, und das ist bei den Claymores reichlich vorhanden. Hier, in freier Natur, ein echtes Erlebnis.


Nicht gehört:
BREAKING STRINGS,  waren beim letzten GFF jedenfalls gut. Auch hier hoffe ich auf ein Wiederhören 2017.
CHRIS SEITZ solo fiel meinem Zeitplan zum Opfer


Ja, und dann zu den verschiedenen TANZGRUPPEN (10)

Sie haben es allesamt verdient, hier gelobt zu werden.

Beim irischen Tanz muß man zwei Phasen, ja fast schon Zeitalter, unterscheiden: Die Vor- und Nach - Riverdance - Zeit. Letztere währt nun auch schon über 20 Jahre und hat dem traditionellen irischen Tanz einen enormen Schub gegeben.

Ganz traditionell, vielleicht kennen das noch Manche, wurden die Arme beim Tanz unentwegt steif nach unten gehalten. Mich erinnerte die Haltung immer an die Anweisung in den Schlafsälen katholischer Internate (nicht nur in Irland), wonach beim Schlafen die Arme exakt ebenso auf (!) der Bettdecke gehalten werden mußten. Der wahre Grund für diesen Tanzstil soll aber die Enge in alten irischen Häusern gewesen sein. Wer mal in ein verlassenes altes, typisch irisches Haus hineingeschaut hat, findet die Begründung durchaus plausibel.

Ultratraditionalisten, die am liebsten die englischen Untertitel auf irischen Wegweisern übersprühen würden, sind die  ab 1994 langsam eingeführten Veränderungen natürlich ein Graus.

Aber alle anderen nehmen erfreut auf, daß die irischen Tänzer/innen auf einmal die Arme entdeckt haben. Neue Choreografien konnten entstehen, Abwechslung war geboten. Abgesehen von ein paar Funkenmariechen-mäßigen Übertreibungen kann man sagen, daß diese Entwicklung dem irischen Tanz sehr gut getan hat. Das widerspiegelt sich auch im lebhaften Interesse vieler Jugendlicher, auch in Deutschland, am irischen Tanz. Schön und wichtig ist auch, daß dieses Interesse über die Klippen der Pubertät hinaus bestehen bleibt. So war auch hier beim GFF jedes Alter von  etwa  5 bis 25 vertreten, und ich denke und hoffe, daß Viele auch noch über das Alter hinaus aktiv sein werden. Jedenfalls gaben alle einen Überblick über den hohen Stand der Kunst ab.

Kurz zusammengefaßt kann ich sagen, daß sich der Besuch auch bei weiterer Anfahrt auf jeden Fall lohnt. Wenn ich hier auch ein paar suboptimale Punkte ansprach, geschah dies in dem Wissen, daß alles, was von Menschen für Menschen gemacht wird, nie allen recht sein kann. Allen Beteiligten und stillen Helfern gebührt herzlicher Dank.

Noch kürzer:

SCHÖN WARS!

Das Zehnjährige im Jahre 2017 (vermutlich auch um diese Jahreszeit)  wird sicher ein neuer Glanzpunkt, auf den ich mich jetzt schon freue. Ich werde das GFF 2017 hier rechtzeitig ankündigen.

Grüße,
bádoir
« Letzte Änderung: 29.06.2016, 09:01 von bádoir »