Als stolzer Besitzer eines eigenen Bootes erlebst du immer wieder die tollsten Dinge, an die der gemeine Charterfahrer selbst in seinen kühnsten Vorstellungen nicht mal zu denken wagt.
Ich sag's dir: Mit einem eigenen Boot passieren dir Sachen...
Ich hab bisher über zwanzig mal Boote verschiedener Größe gechartert. Da ist nie was ernstes passiert.
Gut, ... einmal fiel auf einem Noble Cadet von Manor House in Nord-Irland der Kühlschrank aus. Da bin ich kurzerhand zu einer fremden Basis gefahren, damals Emerald in Belturbet, und ein freundlicher Mechaniker hat sofort alles stehen und liegen gelassen und das Bier im Kühlschrank hatte im Handumdrehen wieder beste Trinktemperatur.
Auch habe ich ich auf meinen ausgedehnten Angeltörns im Dinghy zahlreiche Außenborder (ich glaube es waren bisher insgesamt acht...) fritte gefahren. Aber ein kurzer Anruf in der Homebase hat immer genügt und meist wurde mir innerhalb von einer knappen Stunde - kostenlos - ein Austauschmotor geliefert. Das sogar mal mittags an einem Ostersonntag von der guten Seele Charly bei Carrick Craft, natürlich auch in Irland...
So einen Service hast du als Bootseigner eher nicht. Wenn da mal was mit deinem Kahn nicht stimmt, bist du erstmal ganz auf dich allein eingestellt.
Mutterseelenallein eingestellt.
Und wenn du dann nach zahllosen Telefonaten endlich Hilfe erhältst, kostet das immer Geld.
Viel Geld.
Ist auf einem Charterboot mal was kaputt, rufst du in der Basis an, dann kommt flugs ein freundlicher Mechaniker vorbei, dreht dreimal mit nem Schraubenschlüssel im Motorraum rum und wünscht dir dann ne gute Weiterfahrt.
Die gute Weiterfahrt bekommst du auch als Bootseigner gewünscht, aber du bist dann auch schon wieder ein paar Hunderter ärmer.
Shit happens.
Na ja, es gibt auch Ausnahmen, die ausnahmsweise nichts kosten.
Nur Nerven.
Mit meinem geliebten Weib Britta bin ich letzten September für ein Wochenende zum Zuidlaardermeer gefahren, wo unsere Kuba im Hafen von Allround Watersport lag. Wir legten bei strahlendem Sonnenschein ab und fuhren gute eineinhalb Stunden ins schöne Groningen. Dort legten wir im Osterhaven an, zahlten einundzwanzigfünfzig Liegegebühr bei der netten Hafenmeisterin und machten dann einen ausgedehnten Stadtbummel.
Abends haben wir bei einem Italiener sehr lecker Pasta und Fisch gegessen und auch lecker ne Flasche Rotwein getrunken. Danach noch nen Espresso und jeder nen Grappa.
Vielleicht hätten wir uns den Grappa besser sparen sollen, denn als wir wieder an der frischen Luft waren, waren wir uns beide einig, dass wir einen leichten Schwips hatten. So gingen wir kichernd wie verliebte Teenager zurück zum Boot.
Da war's jetzt ziemlich dunkel und an der Kuba angekommen, reichte ich als alter Kavalier meiner Frau die Hand, damit sie aufs Schiff steigen konnte. Und da kam es, wie es kommen musste, Britta rutschte mit der anderen Hand an der Reling ab, fiel aber nicht hin. Dafür kippte aber ihre Handtasche um, welche dummerweise nicht verschlossen war und der gesamte Inhalt fiel raus.
Natürlich genau zwischen Boot und Steg.
Natürlich ins Wasser.
Ich ging sofort auf die Knie und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Als erstes fischte ich ihr großes Portemonnaie mit Ausweis, Führerschein, EC-Karte und ein paar Euro aus dem Wasser, dann noch eine Haarbürste und den Stadtplan von Groningen.
Sonst nichts.
"Wo ist der Schlüssel?", schrie Britta.
"Was für'n Schlüssel?".
"Na der Au-to-schlüs-sel!", fuhr mich Britta an, als hätte ICH den Inhalt ihrer Tasche mit voller Absicht in die Fluten gedonnert.
Klar, jetzt war ich es Schuld.
Frauenlogik halt.
"Ach du heilige Scheiße, der Au-to-schlüs-sel???", ich betonte jetzt aus Frack die einzelnen Silben genau wie mein Weib.
"Ja, der Au-to-schlüs-sel!!!", bellte sie zurück.
"Der ist weg. Futsch".
"Dann guck nochmal genau nach, vielleicht liegt er ja auf dem Steg."
Klar, wahrscheinlich genau zwischen meinen Knien, dachte ich, verkniff es mir aber, das laut auszusprechen. Stattdessen schaltete ich die Taschenlampe meines Handys ein und suchte im Umkreis von zwei Metern den Steg ab.
Aber da war kein Schlüssel.
"Warum hast du denn die Tasche offen gelassen, hättest du besser mal zugemacht", entfuhr es mir mit leicht sarkastischem Unterton.
"Hätte, hätte, hätte...", schnepfte Britta zurück.
Die Stimmung war jedenfalls dahin.
Eben noch wie frisch verliebte Teenager, jetzt mehr wie ein verharztes, altes Ehepaar.
Hättest mal besser nicht soviel getrunken, wollte ich noch süffisant bemerken, hielt aber den Mund.
Wie sollten wir jetzt zurück nach Köln kommen?
Einen Ersatzschlüssel für's Auto hatten wir nicht dabei. Morgen, am Sonntag, mussten wir jedenfalls zurück, denn am Montag war um sieben Uhr Aufstehen angesagt, Brötchen schmieren und die Kinder in die Schule schicken.
Entweder wir mussten am Morgen einen Taucher bestellen, der uns denn Schlüssel aus vier Metern Tiefe wieder rausholt oder wir mussten jemanden finden, der uns den Ersatzschlüssel von Köln zu Allround Watersport bringt.
Ersteres hätte mit Sonntagszuschlag bestimmt ein Vermögen gekostet, und letzteres, ... mhhhh, ... da müsste man erstmal einen Dummen finden, der mit Hin- und Rückfahrt freiwillig gut 700 Kilometer fährt, nur weil Madame zu dusselig war, ihre Handtasche zu schließen.
Britta und ich haben uns dann aber doch wieder vertragen, uns sogar gegenseitig Zahnpasta aus der Tube auf die Zahnbürste gedrückt und haben dann im Bett noch länger darüber sinniert, was wohl so ein Taucher kosten könnte und wo wir überhaupt einen Taucher herbekommen sollten.
An einem Sonntag.
"Hätte ich doch nur die Handtasche zugemacht", murmelte Britta noch, dann schlief sie ein.
Punkt sieben waren wir beide wach. Britta kochte Kaffee und ich ging bei strahlendem Sonnenschein zum Sonntagsbäcker und kaufte Brötchen und Croissants.
Just als ich wieder am Boot war, kam mir Agnes, die nette Hafenmeisterin entgegen. Ich erzählte ihr von unserem Unglück und dass wir jetzt wohl einen Taucher bräuchten, und ob sie nicht zufällig einen Taucher kennen würde, der unseren Schlüssel aus den dunklen Fluten bergen könnte.
Da meinte Agnes ganz trocken mit gutem Hollandakzent: "Ich kann Ihne auch meine Magnete leihen. Vielleicht klappt dat ja".
Magnet?
Ja klar, ein Magnet!
Vielleicht war das ja die Rettung und der Taucher konnte gemütlich zu hause bleiben!
Ich ging mit Hafenmeisterin Agnes in ihr Büro und holte da den Einkilo-Magneten mit fünf Metern Schnur dran ab. Dann ließ ich das Teil direkt da ab, wo ich den Schlüssel auf dem Grund vermutete. Nacheinander holte ich drei lange Schrauben, zwei Unterlegscheiben und einen Angelhaken raus.
Immerhin.
Nach zehn Minuten hatte ich aber keinen Bock mehr auf eine neue Karriere als Schrotthändler und wollte aufgeben. Ein letztes Mal zog ich den Magneten nach oben und als er an die Oberfläche kam, hing unser kompletter Schlüsselbund dran.
MIT AU-TO-SCHLÜS-SEL !!!
Ich hatte uns gerettet!
Britta war glücklich.
Und ich war ihr Held.
*
So, liebe Leser, eigentlich hattet ihr ja insgeheim gehofft, ich würde in diesem Teil wieder über schlimme Bootskatastrophen berichten.
Aber keine Sorge, bald kommt KUBA Teil 4.
Und da geht's dann direkt richtig zur Sache...
Jetzt aber bin ich müde und gehe in meine Koje. Ich liege mit der Kuba aktuell in Verdun, Frankreich. Das wird auch mal ein Kapitel, dann mit der Überschrift "Gefangen in Verdun".
Thank you, good night