Shannon-Forum

Autor Thema: die unglaublichen Geschichten eines Bootfahrers (Fortsetzung der "KUBA Stories")  (Gelesen 73487 mal)

Offline lisnarick

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Hi Paolo,
Deine Geschichten(Das Buch habe ich natürlich auch) habe ich gerne gelesen. Diese ist wirklich besonders.
Abendliche Bekanntschaft, akute Erkrankung, Tod. Unglaublich , was das Leben bietet.
Der Verstorbenen würde sich sicher freuen zu wissen, dass sein netter Kumpel vom Vorabend sein Boot überführt.
Auch solche Geschichten gehören zu unserem Forum. Danke   lisnarick

Offline paolo

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    • die unglaublichen Erlebnisse eines Bootfahrers
Wie (fast) immer bei mir ging auch die Überführung der Shangri La nicht nicht ganz problemlos von der Hand. Letzte Woche Dienstag bin ich vom Zuidlaardermeer bei Groningen mit relativ spärlichem Proviant aus gestartet. Unterwegs würde es sicher ausreichend Gelegenheit geben, meine Vorräte aufzufüllen.
Dachte ich mir jedenfalls.
Die Fahrt geht zunächst durch kleine, enge Kanäle im Konvoi mit anderen Booten. Begleitet wird man hierbei von zwei Brucken-/Schleusenwärtern auf Motorroller, die auf dem ersten Fahrtabschnitt vorhandenen 32 Brücken und 4 Schleusen bedienen. Da diese Kanäle so gut wie keine Strömung haben, befindet sich jede Menge Kraut im Wasser und in den Schleusen schwimmt noch zusätzlich jede Menge sonstiges Grünzeug im Wasser. Ich fuhr als drittes von vier Booten, und als ich aus der vierten Schleuse herausfuhr, dauerte es nicht lange bis  der Fahrer des hinter mir fahrenden Bootes mir laut zurief, aus meinem Auspuff käme kein Kuhlwasser sondern nur noch Qualm heraus. Ich reduzierte sofort auf Standgas, trieb an die rechte Böschung, ließ das andere Boot passieren und schaltete dann sofort ohne am Ufer festzumachen den Motor aus. Ich öffnete die Klappe zum Motorraum und sah, dass der Krautfilter ziemlich voll war.
Krautfilter gereinigt, Motor gestartet, aber der Motor qualmte immer noch, kein Kühlwasser am Auspuff sichtbar. Nochmal den Krautfilter aufgeschraubt, aber der war sauber. Der Impeller war wohl fritte. Was sollte ich tun? Erstens hatte ich keinen Ersatzimpeller dabei und zweitens außer einem Leatherman kein Werkzeug, sodass ich noch nicht mal die Impeller Abdeckung aufschrauben konnte.
Mein Boot trieb mittlerweile quer im Kanal und die beiden Brückenwärter riefen mir zu, was los sei. Motor kaputt, rief ich Ihnen zu, startete noch mal kurz den Motor, fuhr das Boot zu den beiden Mopedfahrern an die linke Böschung, warf ihnen Vor- und Achterleine zu und die beiden Jungs machten die Shangri La an zwei Bäumen fest.
Ich rief John von meinem Starthafen Allround Watersport an, der mir den Überführungsjob auch vermittelt hatte.
Er meinte, er käme sofort mit Werkzeug und Impeller zu mir.
Guter Mann.
Und tatsächlich: eine knappe Stunde später schwang er sich auf mein Boot, kontrollierte den (sauberen) Krautfilter, öffnete die Abdeckung vom Impeller und meinte sofort, ja, der ist hin. Leider hatte er eine Spitzzange vergessen, bekam das marode Teil nicht heraus. Aber ich hatte ja meinen Leatherman dabei und damit hats dann geklappt. Neuen Impeller gut eigefettet, in die Öffnung geschoben soweit es ging, aber leider keinen Hammer dabei, um das Ding vorsichtig einzuschlagen, aber mit Geduld, Spucke und einem guten Schuss feinsten Olivenöl hats dann endlich doch geklappt.
Motor wieder gestartet, aber es kam nur sehr spärlich Wasser aus dem Auspuff. Wir müssen noch die abgerissenen Kleinteile aus den Zuleitungen holen, meinte John, die verstopfen anscheinend den Durchfluss. Schraubklemmen aufgeschraubt, Schläuche und Rohrverbindungen abgenommen, Kleinteile heraus gefischt, alles wieder zusammen geschraubt, und plötzlich war alles wieder wie neu. Wasser schoss aus dem Auspuff und der Motor wurde wieder gekühlt.
Das Ganze hat gut drei Stunden gedauert. Da wars schon viertel nach vier und der wiedergekehrte Chef-Brücken Wärter meinte, es ginge erst am nächsten Morgen um 08:00 weiter. Da lag ich im Kanal in der holländischen Pampa, machte mir einen Tomatensalat, dazu zwei Scheiben labbriges Toastbrot, drei Leffe und zwei großzügige Gläser Grappa Nonino, zwei Filme auf dem Tablet geschaut, und dann bestens bis um 06:30 gepennt.
Die Fahrt hat ja super angefangen, dachte ich noch in der Koje, gerade mal knapp drei Stunden unterwegs und schon der erste Scheiß...
Am nächsten Morgen war der Brückenwärter um 08:00 pünktlich zu Stelle, öffnete mir die verbleibenden drei Brücken und gegen 08:30 bog ich rechts ab in den etwas breiteren Stadskanaal. Mittags verbrachte ich die einstündige Brückenwärter-Schleuser-Pause zusammen mit einer anderen Yacht und einem 20m langen Motorsegler in einer Schleuse. Das Wasser in der Schleuse war wieder stark modrig, aber als ich den Motor zur Weiterfahrt startete, kam satt Wasser aus dem Auspuff.
Dem war dann zwei Schleusen später nicht mehr so.
Nur noch ein sehr spärlicher Rinnsaal tropfte in den Kanal. Verdammt, dachte ich, bitte nicht schon wieder der Impeller. Ich machte das Boot fest, schaltete den Motor aus, öffnete den Motorraum, dann den Krautfilter, aber da waren nur wenige Algen drin.
Was tun?
Ich hoffte, dass nicht schon wieder der scheiß Impeller fritte gegangen war, schraubte den Schlauch zwischen Krautfilter und metallenen Wassereinfüllstutzen ab und tastete mit dem Zeigefinger den Innenraum des Stutzen ab. Aber da war nix. Hab dann die Öffnung mit einem Lappen notdürftig abgewischt, meine Lippen angesetzt und kräftig in das Rohr geblasen. Eigentlich hätte ich da ein Blubbern hören müssen.
Aber da blubberte nix.
Verdammt, dachte ich, da muss ich tiefer rein. Aber womit? Kein Draht, kein billiger Kleiderbügel oder sonst was an Bord. Da fiel mein Blick auf das Antennenkabel. War eh kein Funkgerät vorhanden, also was soll's. Hab einen guten Meter Kabel abgeschnitten, ins Rohr eingeführt und nach ca 50-60cm einen Widerstand gespürt. Kräftig rumgestochert, und plötzlich ließ sich das Kabel bis zum Ende einfuhren. Schlauch wieder fest angeschraubt, Motor gestartet. Am durchsichtigen Krautfilter konnte ich sehen, dass da wieder ein satter Wasserdurchfluss war und auch aus dem Auspuff sprudelt wieder Kühlwasser raus. Der neue Impeller funktionierte also, hatte wohl keinen neuerlichen Schaden genommen.

Problem selbst behoben und ich fühlte mich als Held  ;D

Allerdings hatte mich die Prozedur wieder einige Zeit gekostet. Im Haren-Rütenbrockkanal nach Deutschland war dann um 17:00 auf halber Strecke Feierabend. Mit den letzten Tomaten hab ich mir dann noch einen Salat gemacht und als dieser verputzt war, die Soße noch gierig mit labbrigem Toastbrot aufgesaugt. Ich hatte auch nur noch zwei Flaschen Wasser und so nahm ich mir vor, am nächsten Vormittag an einem Anleger in Haaren festzumachen und Einkaufen zu gehen.
Aber als ich dann rechts in den Dortmund-Emskanal einbog, gabs zwar eine Marina, die ich aber rechts liegen ließ. Da kommt bestimmt gleich ein Anleger mit einem Supermarkt in der Nähe.
Kam aber nicht.
Und an dem Tag war es wieder so richtig schön warm an Deck. 35 Grad zeigte das Thermometer an.
Ich fuhr bis Lingen und machte um 18:30 dort in einer Marina fest, wo ich vor vier Jahren schonmal mit meiner KUBA gelegen hatte. Dort gabs kaltes Bier, aber nix zu essen, und die Dusche funktionierte auch nicht.
Die Hafenmeisterin sagte mir, am nächsten Morgen würde mich ein Streckenabschnitt von 35km mit 6 Schleusen erwarten, für den man wegen des starken Berufsschiffsverkehrs zwischen 6 und 12(zwölf!) Stunden brauchen würde.
Ich fuhr um 07:00 Uhr am nächsten Morgen los und kam gegen halb acht an der ersten Schleuse an, die "doppel-rot“ anzeigte. Ein anderer Skipper, der schon vor mir an der Schleuse war, sagte mir, die Schleuse wäre erstmal wegen Taucherarbeiten (!) in der Schleuse gesperrt.
Geht ja schon wieder gut los, dachte ich.
Ungefähr eine Stunde später fuhr der Frachter MS Marino langsam an uns vorbei. Und plötzlich wurde die Sperrung aufgehoben und wir konnten hinter der Marino in die Schleuse einfahren. Und dann haben sich der andere Skipper und ich uns an die Marino drangehängt und wir konnten auch die nächsten 5 Schleusen problemlos durchfahren.
An dem Tag fuhr ich insgesamt 13,5 Stunden, und nirgendwo ein Anleger mit Supermarkt...
Ich habe dann um 20:30 zwischen einem Frachter und einer anderen Yacht festgemacht. Ich habe dann die etwas mürrisch Frau auf der Yacht gefragt, ob sie mir vielleicht eine Flasche Mineralwasser verkaufen könnte. Konnte sie aber nicht, wahrscheinlich wollte sie nicht. Da hab ich mir zum Abendessen die letzten drei Scheiben labbriges Toastbrot ohne was drauf und Wasser aus dem Bootstank reingezogen. Vielleicht kriegst du jetzt noch Durchfall, dachte ich.
Ist aber gut gegangen.

Was die Infrastruktur auf dem Dortmund-Emskanal angeht, ist das eine wahre Diaspora. Aber die Landschaft rechts und links ist wunderschön. Gut, es geht meistens nur geradeaus, aber man kann ja nicht alles haben.
Ich fuhr morgens um 07:00 Uhr los und irgendwann kam ich an eine Schleuse, wo schon zwei andere Sportboote warteten. Als sich die Tore öffneten, fuhr zuerst ein Frachter hinein, dann die beiden Sportboote, davon eins ein Segelschiff, ich, und noch einweiteres Sportboote.
Das Segelboot hatte plötzlich Probleme mit dem Motor. Schwarzer Qualm stieg auf und der Motor quietscht fürchterlich. Aber der Segler hatte es noch geschafft in die Schleuse einzufahren. Der Motor machte dann Puff, ging aus und nicht mehr an.
Wohl der Impeller kaputt, meinte ich fachmännisch zu dem Fahrer, der etwas traurig drein blickte.
Ob ich ihn aus der Schleuse rausziehen und bis zum nachsten Anleger schleppen könnte, fragte er mich. Klar, kein Problem, sagte ich ihm.
Er wollte seine Vorleine bei mir am Heck festmachen, aber ich bestand darauf ihn seitlich im Päckchen zu schleppen. So getan, hat bestens funktioniert und der Segler und seine charmante Begleitung waren glücklich.
Ich habe die anderen Boote und den Frachter dann noch an der nächsten Schleuse eingeholt und die Fahrt ging weiter.
Ich hatte nix mehr zu trinken und nix mehr zu essen, aber da erschien plötzlich eine Marina mit einem sehr ansprechend aussehenden Restaurant. Da hab ich sofort am Gästesteiger angelegt, bin zum Restaurant, habe mir Schweinelendchen (ich als eigentlicher Vegetarier...), insgesamt 3 halbe Liter Apfelschorle und noch drei große Flaschen Wasser zum Mitnehmen bestellt. Ich hab noch ein Foto von den Schweinelendchen mit Pfifferlingen und Bratkartoffeln gemacht und Britta geschickt. Jetzt schön langsam essen, sonst wird dir schlecht, schrieb sie zurück.

Die weitere Fahrt zog sich und mit der grünen Welle an den folgenden Schleusen wars auch vorbei. Ich wollte aber unbedingt noch abends an meinem Ziel in Mülheim an der Ruhr ankommen. Hat aber nicht geklappt. Das Verbindungsstück zwischen Rhein-Hernekanal und der Ruhr war wegen Brückenarbeiten komplett gesperrt und so musste ich bis zum Rhein runter fahren.
Als ich aus der letzten Schleuse vom Rhein-Hernekanal rauskam, was es schon 21:30 und es wäre zusehends dunkel. Ich fand dann eine Anlegemöglichkeit an einem leicht martialisch, wie ein alter Bunker aussehender Anleger. Der stand mitten im Wasser. Als ich die Leinen festgemacht hatte, wars 22:00 und tief dunkel um mich herum.
Am nächsten Morgen bin ich um 08:00 losgefahren, eine halbe Stunde später auf den Rhein und dann links rum in die Ruhr. Zwei Stunden und zwei Schleusen später bin ich dann bei Sunny Yachthandel, wo das Schiff jetzt verkauft wird, angekommen. Der Bruder des im letzten Jahr verstorbenen Eigners erwartete mich schon zusammen mit dem Chef vom Yachthandel. Beim Anlegen löste sich dann noch der Hebel vom Bugstrahlruder. Aber ich hab das Boot auch ohne in der schmalen Parktasche anlegen können. Kein Problem...
An anderen Booten geht anscheinend auch schonmal was kaputt, nicht nur immer en meinem eigenen, dachte ich.

Das Boot wurde dann von den beiden Herren inspiziert. Sie fanden aber alles gut, keine Schäden, prima  ;D
Der Bruder gab mir dann noch eine kleine Kühltasche mit Trauben und Äpfeln drin, die ich liebend gerne entgegennahm.
Dann fuhr er mich noch nach Hause nach Köln.

Die Fahrt war insgesamt sehr anstrengend, das Wetter unangenehm heiß, aber ich würde das jederzeit wieder machen. Auch bei Sonnenschein durch Münster fahren. Da lagen sie zu Tausenden rechts und links am Ufer. Alles junge Leute. Die sprangen ins Wasser, manchmal sogar direkt an mein Boot (Idioten halt), schwammen auf Luftmatratzen, Gummienten und sonst was rum. Und vor allem hatten die wohl von Corona noch nie was gehört. Die lagen und schwammen dicht an dicht. Ich sag's ja: Idioten halt.
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Offline Kleeblatt

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Moin Paolo,

Du hast aber auch immer Huddel und Brassel beim Bootfahren  ;)

Aber wie immer herrlich zu lesen  :)

Gruß

Kleeblatt

Offline Volpi

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Hallo Paolo,
habe alles wieder mit Freude gelesen. Und jetzt habe ich auch die Benachrichtigung aktiviert wenn hier wieder was Neues geschrieben wird.

Weiter viel Freude an den Überraschungen des Lebens!
Petra

Offline Floh

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Hervorragend  ;D ;D ;D

Wann kommt Teil 2 als Buch?

Offline paolo

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    • die unglaublichen Erlebnisse eines Bootfahrers
Heute Abend kam auf WDR ein sehenswerter Dokumentarfilm über den Dortmund-Ems-Kanal: Vom Ruhrgebiet zur Nordsee.
Einen Großteil der Strecke, von Haren/Ems bis runter zum Rhein-Herne-Kanal und dann noch weiter zum Rhein bin ich ja gerade vor kurzem gefahren. Ich hab vieles wiederkannt und wurde beim Schauen manchmal etwas sentimental. Der Film ist wirklich sehenswert, da er auch Hintergrundwissen preisgibt, das man als bloßer Freizeitkapitän beim Befahren nicht mitbekommt.
Wer Interesse hat: abrufbar in der WDR Mediathek
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Offline Scoirish

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    • Orfhlaith - Die Goldprinzessin
Hallo Paolo,

ich hatte ja Dein Buch bestellt aber die Irische An Post hat es verschlampt. Angeblich wurde es ausgeliefert, wurde es aber nicht. Kann ja mal passieren.

Jetzt warte ich bis wir im Oktober wieder in Sassnitz sind und ich bestelle es dann noch mal.

Dann wird es hoffentlich klappen.

Gruss nach Kölle

P.S. 13. - 16. Februar sind wir in Köln, da werden wir Dich sicher mal besuchen kommen. Campi Volksbühne, richtig?
Sláinte

Chris

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Offline paolo

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    • die unglaublichen Erlebnisse eines Bootfahrers
Hi Chris, ich freue mich ja über jedes verkaufte Buch, aber so will ich auch nicht reich werden, Hahaha...
Mail mir deine Adresse per PN, dann schicke ich dir ein Freiexemplar.
Campi Volksbühne gibt's schon seit 2016 nicht mehr, und mit einem Treffen in Köln im Februar klappts leider auch nicht, da ich dann mit meinem geliebten Weib 14 Tage in Lanzarote bin. Falls Corona uns denn lässt...
Liebe Grüße, paolo
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Offline paolo

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OFF TOPIC - KEINE BOOTSGESCHICHTE


Zuerst war's ja aufregend, mittlerweile aber ein bisschen langweilig.

Aber von Anfang: Mittwoch morgen werde ich gegen 5:00 Uhr wach mit nem fiesen Schmerz in der linken Schulter. Gegen 5:05 Uhr zieht der fiese Schmerz rüber in die Mitte zur Brust. Jeder Atemzug tat weh. Ich gehe nach unten und ziehe mir ne Ibu 400 rein.
Die nützt aber nix.
Um 5:30 ziehe ich mir ein frisches T-Shirt und ne Karo-Pyjamahose an, wecke Britta und meine zu ihr "könnte ein Herzinfarkt sein".
Sie sagt "ich ruf den Notdienst".
Aber irgendwie war sie zu aufgeregt und wählt die Nummer von der Polizei, 110. Lass mich mal, sage ich zu ihr, wähle 112 und erkläre röchelnd der Dame vom Notruf, was gerade mit mir los ist.
"Wir schicken sofort einen Rettungswagen" , meinte sie mit ruhiger Stimme, und sagte zu mir, ich soll mich nicht aufregen.
Ich war aber nicht aufgeregt, ich bekam nur keine Luft mehr.

Drei Minuten später kamen sie dann mit Blaulicht und Tatütata an. Britta panisch: "die wecken ja die ganze Straße...".
Wenige Augenblicke später stand dann eine nette Notärztin und noch drei Typen in Uniform bei mir am Bett. "Ja, das hört sich ganz nach Herzinfarkt an" , meinte die junge Notärztin.
"Gleich aufsatteln", sagte sie zu ihren Helfern.
Die packten mich in einen Rollstuhl, trugen mich die Treppe runter und waren wohl froh, als sie mich unten hatten.
Vor dem Rettungswagen musste ich auf eine Transportliege rüber klettern, dann bekam ich eine Heizdecke übergelegt, denn ich war total am zittern.
Nicht vor Angst, sondern wegen der Kälte.
Und Schulter und Brust taten immer noch sau weh.
"Wird gleich besser", meinte die Ärztin, legte einen Zugang in die Vene meiner linken Hand und injizierte mir eine Flüssigkeit aus einem dunklen Plastikfläschen. "Erstmal drei Milliliter", sagte sie und schob mir dann so ein übergroße Q-Tip in die Nase zwecks Corona-Schnelltest.
"Sind die Schmerzen schon besser? ", fragte sie mich, aber ich schüttelte den Kopf. "Dann packen wir nochmal drei Milliliter drauf". Da dauerte es keine 5 Sekunden und die Schmerzen waren viel weniger.
"Ist das Morphium? ", fragte ich, und die Ärztin nickte mit ihrem Kopf. Ich sah noch Britta und Töchterchen Gina die draußen am Rettungswagen standen.
Gina weinte.
Dann sah ich noch Gisela und Markus von nebenan, die vor die Haustüre gekommen waren. Ich winkte nach draußen, dann ging die Tür vom Rettungswagen zu und es ging mit Blaulicht und Sirene zum Krankenhaus.
Unterwegs machte die Ärztin ein Schnell-EKG und hat mir den Blutdruck gemessen. Der Blutdruck war erhöht, beim EKG gabs nix zu meckern. Die Ärztin meinte dann, das würden die Kollegen im Krankenhaus gleich alles nochmal viel genauer machen. Dann bekam ich nochmal drei Milliliter aus dem braunen Fläschchen, denn die Schmerzen wurden wieder stärker.
Spätestens jetzt war mir alles egal, und ich lächelte die junge Notärztin liebevoll an.

Der Corona-Schnelltest war negativ, und so durfte ich in die normale Notaufnahme.
Und dann ging die ganze Prozedur los: Blutdruck messen, EKG, und gleichzeitig die Aufnahmeformalitäten. Dann auf die Intensivstation. Dann Ultraschall, MRT, Röntgen und nochmal drei Milliliter aus einem anderen braunen Fläschchen.
"Einen typischen Herzinfarkt kann ich nicht feststellen", meinte der Arzt, "aber die rechte Herkranzarterie ist ziemlich zu, da muss ich einen Stent setzen". Da hatte ich nichts dagegen und unterschrieb einen Haufen Seiten Papiere. Meine rechte Hand wurde betäubt, ein Zugang gelegt und irgendwas langes darin eingeführt. Das konnte ich sogar spüren, wie mir das Teil durch den Unterarm, den Oberarm und durch die Brust geschoben wurde. Tat aber nicht weh. Außerdem konnte ich das alles auf einem Bildschirm mitverfolgen. "3,25er", sagte der Arzt zu seiner MTA, und ich ging davon aus, dass er damit die Größe des Stents meinte.
Da wars dann ungefähr 12:00 und ich bekam eine lauwarme Frühlingsrolle mit Matschepampereis und roter Sauce. Ich hatte tierischen Hunger, aber nach zweimal Würgen hatte sich der Appetit erledigt.
Dann wieder Blutdruck, EKG und nochmal Ultraschall.
Klar, Privatpatient.
Das muss man ausnutzen.
Immerhin kam ich danach von der Intensivstation runter und in ein Zweibettzimmer rein. In dem einen Bett lag schon ein Kollege, dem man am Tag zuvor ein komplett neues Knie verpasst hatte.

So, damit ist der aufregende Teil der Geschichte zu Ende. Seitdem ist nur noch Langeweile und weiterhin miserables Essen angesagt. Die einzige Abwechslung, die ich habe, ist, wenn mein Zimmergenosse Besuch vom Physiotherapeuten bekommt und dieser ihn mit einer elektrischen Beuge-Streck-Maschine fürs operierte Bein quält.

Ach ja, und heute habe ich Gina angerufen und sie gebeten, mir ne Packung Zigaretten vorbei zu bringen.

Ich geh dann jetzt mal eine qualmen.

Montag kann ich wieder nach Hause.


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Offline Manni59

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Hi Paolo das hört sich ja nicht so gut an. Ich wünsche Dir gute Besserung.
Gruß Manni

Offline paolo

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Stimmt, Manni, fünf Tage mieses Essen ist ziemlich grausam  ;D ;D ;D
Aber vielen Dank für die guten Wünsche!
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Offline Volpi

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Alles Gute und weiter gute Besserung! Toller 1. HAND  Bericht! Habs gleich meinem Mann vorgelesen.

Herzlich
aus Berlin
Petra

Offline Moni

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Hallo Paolo,
auch von mir die besten Wuensche, gute Besserung und halt' die Ohren steif (wegen des miserablen Essens ;).
Herzlichst,
Moni

Offline Willi

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Moin Paolo,

gute Besserung und Genesung. Gegen deine Langeweile habe ich einen Tip für dich:
Du kannst doch gut Kochen, frag doch mal in der Küche ob du Helfen kannst.  ;D Gruß willi
Ní neart go cur le chéile.  Keine Stärke ohne Einigkeit.
http://www.wasserrausch.de   http://kapitaens-handbuch.com/  http://wasserrausch.com/

Offline Anitram

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Hej Paolo,
auch von uns gute Besserung! Pass besser auf Dich auf😉
LG
Martina und Jürgen