(Nein, das ist kein Kochrezept!)
Eingeschworenen Shannon-Fans droht Ungemach. Denn ich entführe sie in
den fernen Osten. Nicht gleich ins Reich der Dschunken, wie der mög-
licherweise irreführende Titel vermuten läßt, aber doch immerhin fast
über den 007. Längengrad hinaus bis an den Barrowkanal. Dort gibt es,
zwischen der 21. und 22. Schleuse, in der Nähe von Cloncumber in einer
kleinen Ausbuchtung, ein wunderschönes Plätzchen zum Pause machen oder
zum Übernachten. Hier liegt der Kanal ziemlich hoch über dem Land, so-
daß man einen prächtigen Ausblick hat, und ein stattlicher Baum schützt
das Boot vor der sengenden irischen Sonne. Kurz gesagt, an diesem Platz
muß man einfach die mooring posts hervorholen und festmachen. Ich brin-
ge es einfach nicht fertig, hier vorbeizufahren. (53°15,162 N 006° 54,160'E)
Auch diesmal nicht, auf dem Weg von Robertstown nach Rathangan. Das ist
keine ehrgeizige Etappe, sodaß viel Zeit für Kaffepause und Wanderungen
übrig bleibt. So gab es ein klassisches bankmooring, und die hier all-
gegenwärtigen Kühe schauten neugierig zu. Nachdem alles fest war, zog
ich mich in die Kombüse zurück und bereitete eine gepflegte Tasse Ma-
xell's Instant Coffee mit einem gehörigen Schuß Bayley's. (Nur unver-
besserliche Ignoranten verschwenden ihre kostbare Urlaubszeit mit der
Suche nach Läden, die Kaffeesahne und Filter verkaufen

).
Kaum saß ich, um mich dieser famosen Variante von Irish Coffee zu wid-
men, da rappelte etwas am Boot. Irgendjemand schien an den Leinen zu
zupfen. "Irgendjemand" war eine Kuh, die Gefallen an den orangefarben
Leinen fand und, assistiert von ihren Kolleginnen, den mooring post
schon halb hinausgezogen hatte. Nun ist eine helfende Hand beim Ablegen
nach bankmooring durchaus willkommen, aber bei dieser Odie- mäßig sab-
bernden Spezies habe ich doch hygienische Bedenken. Obendrein wollte
ich noch gar nicht los.
Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Pfosten ganz herausgezogen war
und das Heck frei in den Kanal hineintreiben würde. Nein, so ging das
nicht weiter. Es mußte was getan werden, um den Kühen das Spielchen zu
verleiden. Verscheuchen weckte die Neugierde erst recht, irgendwie muß-
te ich dafür sorgen, daß ihnen der Geschmack an den Leinen verging.
Jedwede Flüssigkeiten aus der Bilge schieden aus Leinen-, Umwelt- und
Tierschutzgründen aus. So konzentrierte ich meine Suche auf die Kombü-
se. Salz wirkt auf Kühe bekanntlich wie eine Droge, hätte sie also erst
recht angezogen. Und der vorhandene Pfeffer hätte sich den Hochsee-
schifferschein verdient, weil er die geforderten 1000 Seemeilen schon
hinter sich hatte. Da verbarg sich im hintersten Eck des Schapps eine
fast volle Tabasco-Flasche. Tabasco ist das Zeugs, mit dem die Amis,
pardon, unsere Verbündeten aus den USA, dem, was sie als Essen bezeich-
nen, den letzten Rest von Genießbarkeit nehmen. Mit diesem Wissen aus-
gestattet, kam ich zu dem Schluß, daß die Brühe zwar höllisch scharf,
aber körperlich unschädlich ist.
Und so brachte ich den ganzen Inhalt der Flasche sorgfältig, daß nichts
danebengeht, auf die interessantesten Leinenabschnitte auf.
Teuflisch grinsend begab ich mich wieder unter Deck.
Kaum hatte ich meinen Ausguck bezogen, näherte sich schon die erste
Kuh. Normalerweise sind sie Unbekanntem gegenüber recht vorsichtig, al-
les wird erst mal beschnuppert. Aber die Leine war ja schon bekannt,
und so gab es gleich einen herzhaften Biß. Wie vom Blitz getroffen,
ging sie mit den Vorderbeinen in die Knie und versuchte das Problem mit
Husten und Niesen in den Griff zu bekommen. Das half natürlich nichts.
So richtete sich wieder auf, streckte sich und verwandelte sich optisch
und akustisch in einen röhrenden Hirsch. Es fehlte nur noch das Matter-
horn im Hintergrund. Dabei kam ihr die Erleuchtung, daß ja ausreichend
Wasser zum Trinken in der Nähe war und saugte das Wasser mit einer Gier
aus dem Kanal, daß ich schon fast befürchtete, mit dem Boot aufzusit-
zen.
Kuh Nummer 2 biß ebenso sorglos in die Leine, aber reagierte ganz an-
ders. Wie ein Kalb, das im Frühjahr zum ersten Mal auf die Weide kommt,
machte sie Bocksprünge. Mal ging es mit den Vorderbeinen in die Höhe,
mal mit den Hinterbeinen, sodaß der Dreck davonstob. Für einen Moment
schaffte sie es auch, mit allen Vieren in der Luft zu sein. Nachdem so
die unvermutet geschluckte Energie verbraucht war, begab sie sich eben-
falls ins Wasser, um den Spiegel noch weiter abzusenken.
Kuh Nummer 3, die das Ganze neugierig beobachtet hat, war wohl etwas
skeptisch geworden. Jedenfalls streckte sie vorsichtig die Nase zur
Leine vor, bis sie sie berührte. Offensichtlich brennt Tabasco auch in
Kuhnasen, denn sie zuckte zurück, als wenn sie einen Elektrozaun be-
rührt hätte und trollte sich schnaubend und niesend davon.
Auch Kuh Nr. 4 schnupperte erst vorsichtig, erwischte aber anscheinend
eine schon abgeleckte Stelle, und machte sich daraufhin sorglos daran,
das Leinenende aufzuziehen. Allerdings nur für den Bruchteil einer Se-
kunde ....
Jetzt erst zeigte der Lernprozeß Wirkung. Jedenfalls stand der Rest der
Herde unschlüssig um die "heiße Stelle" herum, ohne es nochmal zu ver-
suchen. Der Kluge lernt aus schlechter Erfahrung, so heißt es, und der
Weise aus der schlechten Erfahrung der anderen. Der Gesichtsausdruck,
mit dem die Kühe hier herumstanden, ließ sich allerdings weder mit
"klug" noch mit "weise" in Einklang bringen.
Auch akustisch war die Vorstellung übrigens sehr ergiebig. Im Allgäu
aufgewachsen, glaubte ich, mit den Lautäußerungen des Europäischen
Hausrinds hinlänglich vertraut zu sein. Von wegen. Über das bekannte
Muuuh hinaus gab es auch Müüüh, Möööh, Määäh, ja sogar ein leicht modu-
liertes "Mujujujuuh" war drin.
Ein bißchen schlechtes Gewissen hatte ich im Nachhinein allerdings
schon, und so möchte ich aus tierschützerischen Gründen hinzufügen, daß
die Tabascosauce grob überdosiert war. Es hätten wirklich ein paar
Tropfen genügt, um die Kühe abzuhalten, und das war ja der Zweck des
ganzen. Und in der Gegend von Cloncumber braucht ihr auf dieses Mittel
ohnehin nicht zurückgreifen. Dort rührt keine Kuh mehr eine Leine an!!