Ich glaube, anders als badoir, dass die paar Politiker, die die komplizierten Verträge aushandeln, durchaus schon wissen, um was es geht. Und dass es in unserer komplizierten Welt halt keine einfachen Lösungen mehr gibt. Bestimmt müsste man vieles nicht regeln, z.B. welchen Käse die Franzosen essen dürfen usw. Aber andererseits funktionieren komplizierte Gesellschaften halt nur, in dem man jeden irgendwie ein wenig zu seinem Recht kommen lässt und jedes Einzelinteresse irgendwo Berücksichtigung findet. Und dann wirds halt nun mal kompliziert.
Das Problem ist: Wie erklärt man das den Leuten, die zwar wissen, wer Britney Spears ist, und wer gerade im Dschungelcamp einsitzt, aber informationsmäßig über die Titelseite der Blödzeitung nicht hinauskommen? Und da haben wir das Dilemna, weil ein Propagandaministerium ist das Letzte, was wir brauchen können. Aber die Murdochs und Berlusconis und Springers kommen halt aus bestimmten Gründen auch ihrer Informationspflicht nicht nach, sondern kochen ihr Süppchen. Und wenn, dann interessierts viele wieder nicht. Und die öffentlich-rechtlichen sind auch nicht viel besser: Wenn ein Politiker in einem Fernsehinterview mal zu einem Statement ausholt, das länger als 0:45 ist, dann wird er gerüffelt, ob er das nicht "einfacher" erklären kann, weil dem Volk halt schnell langweilig ist und es dann den Daumen nach unten senkt. Aber manches ist halt nicht einfach zu erklären.
Und das Dumme ist: In allen wichtigen Fragen der letzten Zeit hätte das Volk wahrscheinlich anders entschieden: D-Mark für den Osten? Wiedervereinigung? Abgelehnt. Einführung des Euro? Wir wollen unsere D-Mark behalten! Die Polen in die EU? Das hätte die Bildzeitung schon verhindert. Dagegen hätte das Wahlvolk wahrscheinlich für die Einführung der Todesstrafe und für Folter ("wenn man damit wichtige Informationen bekommt") gestimmt, schlimmstenfalls sogar für die Abschaffung der Demokratie, wenn nach einem Bombenanschlag a la 9/11 nur ein starker Mann Hilfe verspricht. Ich bin da ziemlich pessimistisch und sage als überzeugter Demokrat: Die Gefahr ist, dass, wenn man über alles abstimmen lässt, irgendwann mal einer in einer blöden Situation auf die Idee kommt, über die Demokratie abzustimmen. Oder einige ihrer Grundregeln außer Kraft zu setzen a la Mr Bush.
Zwischenfrage: welche Zeitung ist in Irland eigentlich noch am seriösesten, also evtl vergleichbar mit der Süddeutschen, Times oder Guardian? Da sitz ich immer 14 Tage auf dem Trockenen.
Was Uve fragt, wie sympathisch uns die neuen Mitglieder der 27er-Gemeinschaft sind: Ich für meinen Teil seh das mit Gelassenheit und Wohlwollen. Wenn ich bedenke, dass in Rumänien vor 19 Jahren noch Ceaucescu mit seiner Securitate an der Macht war, dann sag ich bloß: Wunderbar, dass so ein Land wieder ins zivilisierte Europa zurückgefunden hat. Da stören mich auch die Probleme und das Motorstottern relativ wenig, die das große Europa mit sich bringt. Aber vielleicht bin ich da auch zu sehr Idealist? Wir müssen uns ja nicht alle liebhaben, aber Solidarität und kühler Kopf und vor allem mehr Demokratie würden uns weiterbringen (und das war ja das Gute am Vertrag von Lissabon, dass er die Macht weg von den Apparatschiks rein ins EU-Parlament gebracht hätte).
Naja, Europa is schon o.k. Bloß die Italiener hätten gestern schon rausfliegen sollen, oder.

Und dass England nicht dabei ist, ist doch Spitze, oder?
Ein Nebengedanken zu Irland: In manchen Gesprächen hab ich schon gemerkt, dass das Tempo einigen älteren Menschen unheimlich war. "Wo soll das noch alles hinführen, diese Bauwut, dieser Wahnsinns-Boom?" Ein Busfahrer hat mal zu mir gesagt: "Früher, als die Leute noch kein Geld hatten, brauchten sie einander. Heute meint jeder, er kann Egoist sein, weil er ja Kohle hat." Gibt es Indizien, dass auch dieses traditionell orientierte Klientel gegen den Vertrag gestimmt hat? Die, denen einfach alles zu schnell ging? Eventuell auch verbunden mit traditionell katholischen Wählern, die Angst hatten, dass ihrer Meinung nach die Sitten zu liberal geworden sind? Naja, und dann noch andere, denen zu viel Ausländer ins Land gekommen sind? Da gibt es ja oft die fatalsten Bündnisse, wenn es darum geht, aus den unterschiedlichsten Motiven heraus gegen etwas zu sein.