Shannon-Forum
Bücher, Stories, Filme und TV, Smalltalk => Irische Geschichten => Thema gestartet von: bádoir am 24.12.2005, 16:35
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Die Probleme des Nordirlandkonflikts werden wohl allen Lesern
grundsätzlich bekannt sein, doch hatte damit der Irland-Skipper früher
meist nicht aus der Nähe zu tun. Die meisten Reviere lagen in der Repu-
blik, der B&B-Canal war nur noch eine Entwässerungsrinne im Westen, und im
Osten machte der Woodford River mit den Resten der Schleusengemäuer, was
er wollte. Das Erne - Revier war, mehr noch als heute, etwas für Speziali-
sten.
Wenn man allerdings die lästige Zeit zwischen den Urlauben mit Weihnachts-
ferien in Irland auflockert, kommt man auch mal tiefer in das Land hinein.
So war es bei uns/mir schon jahrelange Tradition, in Rossinver Co. Leitrim
Urlaub im Ferienhaus zu machen. Das liegt ziemlich an der Grenze zu Nord-
irland, und gegenüber lag der Ort Garrison Co. Fermanagh.
Diese Grenze war seit 1925 nie besonders durchlässig. Es existierten re-
gelrechte Grenzübergänge wie bei uns auf dem Festland auch, mit Paßkon-
trollen und der Suche nach Schmuggelware; hier obendrein auch noch nach
Waffen. Bahnreisende auf der Strecke Enniskillen-Sligo mußten zum Teil
zu den Grenzkontrollen aussteigen.
Doch das war alles noch nichts gegen das, was sich nach der Verschärfung der
politischen Situation im Jahre 1972 getan hat. Martialisch aussehende Kontrolleure
mit MP im Anschlag durchfilzten Gepäck und Auto. Massive Schrankenbäume
zwischen Betonbarrieren, kombiniert mit versenkbaren Reifentötern zeigten
Ungeduldigen, wo es lang geht.
Diesen neuen Aufwand wollte man nicht an allen vorhandenen Grenzübergängen
betreiben, und so wurden rigoros die meisten dichtgemacht. So auch der
Übergang Rossinver-Garrison. Die Brücke über den Killkoo River wurde mit betonge-
füllten Blechtonnen vollgeladen; nicht mal ein Fußweg blieb frei. Zahlrei-
che freundschaftliche und verwandtschaftliche Verknüpfungen wurden unter-
brochen, denn der nächste Übergang in Belcoo / Blacklion bedeutete 45 km Umweg.
Nicht zu Unrecht wurde die Betonsperre auf der Brücke als "Berlin Wall"
bezeichnet, und auch hier kostete der von Ideologen und sonstigen Idioten
angestiftete Irrsinn Menschenleben.
Wollte man von DUB Airport nach Rossinver kommen, so führte damals der
nächste Weg über Enniskillen und den Grenzübergang Belcoo / Blacklion. Für Auswärtige im
Mietauto war das Abfertigungsverfahren am Schlagbaum einfacher als für
Einheimische, trotzdem war das Ganze wegen der beschriebenen Umstände al-
les andere als angenehm, und hätten die Herrschaften im dem stacheldraht-
bewehrten Wachhaus Gedanken lesen können, wäre ich bestimmt festge-
nommen worden. Aber für einen Irlandurlaub - ihr wißt es - nimmt man man-
che Unbequemlichkeit in Kauf.
So auch diesmal, an Weihnachten 1993.
Es ging schon in tiefer winterlicher Dunkelheit Richtung Belcoo, entlang
am Loch McNean, ein See, der auch bei Mondlicht immer wieder ein schöner An-
blick ist. Im Ort die gewohnte Kurve nach links, den off-license-Laden ein
weiteres Mal ignorierend, weil ich die Kontrolle in Blacklion hinter mich bringen woll-
te. Doch am Ende der Brücke, dort, wo es links Richtung Marble Arch Caves
geht, und rechts nach Manorhamilton, waren keine Schlagbäume zu sehen. Naja, haben
sie wieder umgebaut (?). Doch auch die Geschwindigkeitsbeschränkung fehlte,
trotzdem fuhr ich langsam, die Pässe bereitgelegt, auf die Grenze zu. Un-
gehindert ging es um die Rechtskurve, keine Reifenkiller leuchteten aus
dem Asphalt, ich war total verdutzt. Vorsichtig ging es weiter, ich schau-
te nach rechts, wo das stacheldrahtbewehrte Wachhaus war.....
Es war nicht mehr! An der Stelle war ein freier Platz mit einem
imposanten, hell erleuchteten Christbaum!
Obwohl ich mich natürlich auch in Deutschland für Nachrichten aus Irland
innteressiere, war mir da etwas entgangen.
Sicher war mir die Entspannung der Lage bekannt, aber an die
völlige Auflösung der Grenzposten wagte ich nicht einmal zu hoffen.
Besser konnte der Christbaum als Symbol des Friedens gar nicht stehen.
Doch es kam noch besser. Am nächsten Tag entdeckte ich, daß die Killkoo Bridge
ebenfalls freigeräumt war, und man konnte so ganz einfach von Rossinver
nach Garrison hinüberfahren. Es erschloß sich eine weitere Traumlandschaft
rund um Loch Melvin, die davor im Grenzgebiet dahinsiechenden Pubs und Lä-
den wurden renoviert, und jeder - Einwohner wie Geschäftsleute - waren
hochzufrieden mit der neuen Lage.
Und so gab es einen weiteren schönen Winterurlaub in der neu gewonnen
Freiheit hüben und drüben. Hoffen wir, daß es so bleibt. Aber denkt
daran, daß das nicht selbstverständlich ist, wenn ihr auf dem Woodford
die nun imaginäre Grenze überfährt.
Damit wünscht euch allen schöne Weihnachten
Gerhard
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Hi y'all,
Badoir, danke fuer den schoenen Bericht. Eine Weihnachtsgeschichte mit Happy Ending ist umso schoener wenn es keine Maer ist.
Wir haben bisher nur einmal in Nordirland auf dem Wasser Urlaub gemacht, es war 1997. Es ist mir inzwischen klar, nicht zuletzt von Forumsberichten, dass es nur ein oberflaechlicher Eindruck war, ein misslungener Schnappschuss, aber es hat uns dort damals nicht gefallen.
Der allererste Eindruck im “United” Kingdom kam, als wir uns auf dem Woodford River (nicht der am Derg!! ;) ) vom britischen Militaer angegriffen fuehlten. Ein kriegsmaessig ausgestatteter Helikopter war hinter einer Huegelkuppe aufgetaucht und kam derart schnell auf uns zu und tief auf uns runter, dass unser Adrenalinspiegel schlagartig in die Gefahrenzone hochschoss. Die Docker im Port of Belfast waeren tiefrot geworden haetten sie meine Renee gehoert, in hoechster Tonlage gegen den Rotorenlaerm anschreiend. In angsterregender Rage schmiss sie eine halbvolle Dose Smithwick's in Richtung des Choppers. Renee war in jungen Jahren eine halbprofessionelle Pitcher(in) in der Junior Women’s Baseball League und ist auch heute noch gefuerchtet fuer ihren Wurfarm, zumindest von mir. Leider aber hatte sie die Aerodynamik des Sikorski unterschaetzt, die Dose kam im 45-Grad Winkel zurueck und bespruehte uns mit Kilkenny’s Bestem.
Die Gesichter der tapferen Soldaten in den Oeffnungen der Kampfmaschine waren von ihrer Ausruestung verdeckt aber die Koerpersprache liess keinen Zweifel, sie hatten einen jolly good fun. Kringelt vor Lachen klopften sie sich auf die Schenkel und ihren Kriegskameraden auf die Schulter nach der gewonnenen Schlacht. (“We showed those f*cken huns!) Auch ich versuchte dann noch kurz gegen den Wind zu bruellen, hatte was mit deren Muettern zu tun, aber da moecht ich nicht weiter drauf eingehen. Als ueberzeugter Pazifist gab ich ihnen dann noch das Peace Zeichen, diesmal allerdings nur das halbe. (Peace Sign kennnt Ihr doch, Zeige- und Mittelfinger in die Hoehe, beim halben Gruss dann einen Finger davon runter)
Trotzdem, no hard feelings! Ist ja hoffentlich History jetzt.
Der Rest der Fahrt, Enniskillen - Belleek und zurueck zum Shannon-Erne-Waterway und Carrick war der einzige von 12 Bootsurlauben auf der gruenen Insel der uns etwas daneben ging. Es schien als ob uns alle Leute misstrauisch anguckten. Ganz im Gegensatz zu den immer freundlichen Iren in der Republic. Wir dachten dann, na ja, wenn sie schon vor sich gegenseitig Angst haben koennen sie Fremden gegenueber wohl auch nicht zutraulich sein.
Wie gesagt, ein fluechtiger Eindruck nur. Hab nichts gegen Nordiren. Einige meiner besten Freunde waren Nordiren. ;D ;D ;D
Und unsere naechste Irland-Bootstour geht zum Erne. Ehrenwort!
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Hallo Gerhard,
Dein Erlebnis war in 1993.
Das Karfreitags-Abkommen, welches die Basis fuer den heutigen, hoffentlich ewigen, Frieden ist kam im April 1998. Noch am 8.11.1987 wurden in Enniskillen 11 Menschen durch eine Bombe getoetet, (ein 12. Opfer starb im Dezember 2001)
Weisst Du warum sich die Grenzsituation schon 1993 erleichert hat?
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Hi Uve,
die Militärpräsenz ist in den letzten 2-3 Jahren stark zurückgegangen. Seit 1997 hat die britische Armee mehr als die Hälfte des Personals aus NI abgezogen (von gut 20.000 auf aktuell rund 9.000 Mann). Im Erne-Revier ist das Militär früher hauptsächlich mit seinen Puma-Hubschraubern aufgefallen. Heute sieht man meist nur noch nordirische Polizei mit kleinen, schnellen Schlauchbooten. Die sind aber sehr freundlich und geben auch bereitwillig Auskunft über ihren Job.
Im Mai 2005 habe ich während einer ganzen Woche am Erne erstmals nicht einen einzigen britischen Hubschrauber gesehen. Das war einige Jahre früher noch anders.
Deine Meinung zur nordirischen Bevölkerung kann ich allerdings nicht so recht teilen. Ich habe die Nordiren immer als genauso freundlich kennengelernt, wie die Menschen in der Republik!
Gruß Stevie
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Hi Badoir, hi Uve,
ich wollte ja nix sagen, aber jetzt wo Uve damit angefangen hat ......
Badoir, das ist eine schöne Geschichte und bestimmt keine Maer ;)! Aber wann war das?????
Man Badoir hast du 1993 tolle Träume gehabt! Weihnachtsbaum statt stacheldrahtbewehrtes Wachhaus! :o ::) ;D
Wahrscheinlich hingen da zwischen den Kerzen auch so blinkende Dosen mit schwarzem Gebräu und kleine Fläschchen mit hochprozentigem Tröpfchen, die sich im Glitzern von Eiswürfeln spiegelten? ;)
In dem Jahr gab es zwar einen starken Wandel, vor allem in den irischen und britischen Köpfen, nachdem Arafat und Rabin das berühmte shake-hands nach den Geheimverhandlungen in Oslo (Dank an Mr. Holst!) hinter sich hatten, aber so schnell ging es dann weder in Irland noch im Rest der Welt doch nicht. Ich war im Spätsommer 93 in Dublin an der Uni und es ging ein Raunen durchs Volk und die Pubs. Heftige Diskussionen brachen los. Neue Hoffnung keimte auf, ob die gegenseitige Anerkennung, wie es Israel und die PLO vorgemacht hatten, nicht auch ein Weg für Irland / Nordirland sein könnte. Doch die Grenze war blocked. Von Fermanagh aus Richtung Republik waren nur 9 Straßen passierbar, und das nur nach strengsten Sicherheitskontrollen. Das war auch noch eine ganze Weile so. Zwar haben Bauern mal gelegentlich eine entlegene der seit 73 completely gesperrten roads "geräumt" (und dazu gehört auch die Brücke bei Garrison) doch es hat meistens nur einen Tag oder Stunden gedauert, bis alles wieder beim Alten war. Das haben sie übrigens weniger aus politischen oder weihnachtlichen Gründen sondern aus praktischen Erwägungen gemacht (Wer will schon, um seine Schafe ein paar Meter weiter einzusammeln, hundert Kilometer oder mehr fahren?) Auf der Brücke zwischen Belcoo und Blacklion wär an solche Abräum-Spielchen nicht im Traum zu denken gewesen. Bis heute zeugt der Bunker mit seinem watch tower und den Videokameras an der Brücke von der Atmosphäre des Hochsicherheitsgefängnisses Nordirland. Also Uve, wann immer unser geniale Geschichtenschreiber Badoir die Geschichte erlebt hat, es war garantiert einige Jahre später.
Übrigens war das Einzige im Tarnanzug mit geschwärzten Gesichtern, was wir im Herbst gesehen haben, Entenjäger, die plözlich und unvermittelt zu unmöglichsten Tageszeiten im Schilf watend oder rudernd auftauchten. Ich beschloss daher doch besser zu dieser Jahreszeit knallgelb oder rot bekleidet die Natur zu erkunden ;)
Dafür haben wir aber echt nette einheimische Privatbootbesitzer kennen gelernt, die genauso auskunftsfreudig wie in der Republik sind. Also eigentlich gilt da in der Regel auch: Wie man in das Schilf reinruft, so
schallt es hinaus ...
Liebe Grüße Tina
PS:
Nachtrag: Ich vergaß noch zu erwähnen - für alle die noch nie in Nordirland waren -, dass das Schengener Abkommen auch zwischen NI und der Republik umgesetzt ist. Grenzkontrollen gehören der Vergangenheit an. Enniskillen ist tatsächlich etwas britischer, aber nicht weniger hübsch als Athlone ;), ein wenig britisch, aber eben irisch-britisch. Die Leute im Tourist Office und auf der Straße haben uns mehrfach klasse geholfen und der Wandel in den Köpfen geht (Gottseidank) immer weiter. Man schau nur mal unter http://www.crossborder.ie/
Gruß Tina
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Deine Meinung zur nordirischen Bevölkerung kann ich allerdings nicht so recht teilen. Ich habe die Nordiren immer als genauso freundlich kennengelernt, wie die Menschen in der Republik!
Gruß Stevie
Hi Stevie,
da hab ich mich wohl nicht richtig ausgedrueckt. Ich habe keine schlechte Meinung ueber die Nordiren. Ich hatte jedoch zu diesem beschriebenen, einzelnen Zeitpunkt einen bestimmten Eindruck. Den will ich nicht verallgemeinern (und das hab ich auch in meinem Eintrag gesagt)
gruss
Uve
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Hi y'all
Ich seh gerade dass der Peter auch schon so ein Helikoptererlebnis beschrieben hatte.
http://www.shannon-forum.de/index.php?board=18;action=display;threadid=2689;start=msg16995#msg16995
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Hi Uve,
das mit den Hubschrauber-Übungen war früher ganz normal. Mir ist auch schon ein Puma im Tiefflug über dem Fluss entgegen gekommen. Als er uns sah, ist er dann aber artig über Land ausgewichen, no problem.
Fahr ruhig mal zum Erne und verschaffe dir einen aktuellen Eindruck! Ich versuche jedenfalls inzwischen einmal pro Jahr auch dort oben unterwegs zu sein, weil es noch schöner und vor allem noch etwas ruhiger als der Shannon ist.
Gruß Stevie
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Hallo miteinander!
Ich habe vor dieser Geschichte durchaus meine Aufzeichnungen angeschaut, den grauen Zellen sollte man nicht immer trauen. Und nach euren skeptischen Bemerkungen habe ich es nochmal getan, und siehe da, ein Lapsus ist passiert, ich bin im Jahr verrutscht: Das ganze fand ein Jahr später, 1994 (eins-neun-neun-vier; one-nine-nine-four), statt. Über den konkreten Anlaß der Erleichterungen weiß ich nichts.
Sorry, aber an der Tatsache, daß das lange vor dem Karfreitagsabkommen stattfand, ändert sich nichts.
@Tina:
" (Blacklion) ............... Bis heute zeugt der Bunker mit seinem watch tower und den Videokameras an der Brücke von der Atmosphäre des Hochsicherheitsgefängnisses Nordirland. "
Da ich dort immer in der Dunkelheit vorbeikomme, kann ich nicht sagen, ob das Polizeirevier sattsam bekannter Bauart dort noch steht; in Kesh, Belleek usw .usw. existieren sie noch. Das Wachhaus in Blacklion ist jedoch definitiv weg.
"Zwar haben Bauern mal gelegentlich eine entlegene der seit 73 completely gesperrten roads "geräumt" (und dazu gehört auch die Brücke bei Garrison) doch es hat meistens nur einen Tag oder Stunden gedauert, bis alles wieder beim Alten war."
Was sind die Bauern doch für Schlingel !! ;)
Kommen in Militärkamotten an, entwenden schweres Armeeräumgerät und LKWs, und asphaltieren die Straße auch noch auf eigene Kosten neu! Und das hat in Belfast so beeindruckt, daß man sich bis heute nicht mehr traute, die Sperre wieder zu errichten!
Ich persönlich glaube allerdings die Version der Einheimischen vor Ort, daß die Grenzbefestigung offiziell im Spätsommer 1994 von NI-Seite geräumt wurde. Aber am unteren Niederrhein ist man natürlich näher dran. Und die Vorstellung, daß Tina nicht recht hat....*brrr*.... *schüttel*....... –unmöglich! ;D
NB.: Von den noch länger danach andauernden Hubschrauberflügen ist 2005 für mich auch nur noch einer in 3 Wochen übrig geblieben.
Hoffen wir, daß es so bleibt oder noch besser wird!
Auf ein friedliches 2006!
bádoir