Sommer 2001. Nach drei schönen Wochen waren wir auf der Rückfahrt zur Heimatmarina in Carrick. Die vorletzte Nacht wollten wir in Jamestown verbringen und trudelten dort so gegen 8 pm ein. Plötzlich riß mich der seemännisch nicht ganz korrekte Warnruf "Peter, Peter guck mal!" aus der beschaulichen Betrachtung der vorbeiziehenden Landschaft. Klar voraus die Jamestown Bridge mit einer County Star unter dem zweiten Brückenbogen, die uns entgegenkam. Das konnte doch nicht sein, daß der etwa aus Drumsna - immerhin ist hier doch "End Of Navigation". War auch nicht so. Aber dazu später.
An der Mole lagen schon zwei Boote, die Crews auf Campingstühlen an Deck. Mit einer eleganten Kurve wendeten wir über Backbordbug und machten direkt oberhalb der Brücke fest. Als "gute Seele vom Shannon" wollte ich sofort zur hilfreichen Tat schreiten (auf so eine Situation wartet man insgeheim ja immer) und dem sensationsgierigen Publikum meine überragenden seemännischen Kenntnisse offenbaren. Aber Pustekuchen - die Leute im Freilichttheater waren an meinen Kunststücken nicht interessiert, sondern machten uns darauf aufmerksam, daß ein Servicewagen von ESL schon unterwegs sei. Enttäuscht holte ich Erkundigungen ein - wann, wie und was weiter. Ich erfuhr, daß der Skipper dicht vor der Brücke gewendet und auf Leerlauf geschaltet hatte, um nach einer günstigen Anlegestelle zu suchen. Dabei bemerkte er nicht, daß die Strömung das Boot schnell rückwärts unter den Brückenbogen auf eine dort lauernde Untiefe zog. Und als dann auch noch der Kajütendach am Bogen "schamfilte", war die Sache gegessen.
Die Lage an Bord der County Star entbehrte nicht einer gewissen Komik. Der Skipper stand mit hochrotem Kopf am Bug und stapelte drei Fahrräder an der Handlaufreling von links nach rechts und wieder zurück. Dabei half ihm sein kleiner Sohn. Des Skippers bessere Hälfte saß im Salon und guckte ausdruckslos aus dem Fenster. Die halbwüchsige Tochter versuchte den Eindruck zu erwecken, als hätte sie nichts mit der Sache und schon gar nichts mit dieser Familie zu tun. Es war nicht zu übersehen - die Stimmung an Bord war hochexplosiv.
Nach etwa einer Stunde kam endlich der ESL-Mechaniker. Ein junger Bursche, dem das Ganze offensichtlich viel Spaß machte. Er bat uns, mit unserer Mountain Star das Unglücksboot unter der Brücke freizuschleppen. Na klar, da kam ich ja doch noch zu meiner "guten Tat". Der ESL-Bursche holte eine lange Schleppleine aus seinem Serviceauto und ruderte mit unserem Dinghy zum Unglücksboot. Dort übergab er einen Tampen dem Skipper und ruderte sofort zu uns zurück. Das war ein Fehler, wie sich gleich herausstellen sollte. Die Schleppleine wurde mit einem Hahnepot an unseren Heckklampen festgemacht und der ESL-Mann hob trällernd seinen Daumen, der Skipper unter der Brücke hob seinen Daumen, ich am Ruder hob meinen Daumen - alles war bereit zur fröhlichen Tat. Halbe Kraft, dann Volle Kraft voraus - so sollte es gehen, dachten alle. Aber denke nie gedacht zu haben - nichts ging. Dafür drang lautes Geschrei unter der Brücke hervor über den Shannon. Was war geschehen? Unser gestresster Kapitän hatte nicht eine Klampe mit der Schleppleine belegt, sondern sie an ein Fahrrad gebunden, das nun leicht deformiert war. Beim Publikum begann sich Heiterkeit breitzumachen. Auch unser ESL-Ingenieur grinste von einem Ohr zum anderen.
Mit dem Dinghy rüber und die Schleppleine richtig belegt, zurück und alles klar zum zweiten Versuch. Unser Mountain Star legte sich brav in die Gurte und mit viel Geknirsche kam der County Star frei. An der Leine verholten wir ihn längsseits und unser fröhlicher ESeller prüfte das Schiffchen auf eventuelle Lecks. Da er nichts Lebensgefährdendes feststellen konnte, gab er dem Skipper "Freie Fahrt" in Richtung ESL-Marina in Carrick-on-Shannon. Der hatte sich und seine Familie inzwischen soweit beruhigt, daß er an ein kleines Dankeschön denken konnte. Und so wechselten zwei Flaschen Rotwein den Besitzer. Noch ein freundliches "Thank you", ein mehr oder weniger gelungenes Ablegemanöver und von den Zuschauerrängen lautes Schreien, das den Skipper davor bewahrte, den nächsten schwarzen Marker an der falschen Seite zu passieren. Irgendwie war er eben noch immer "nebbe der Kapp".
Der Servicemann sagte "Bye", die Zuschauerränge leerten sich und in nun friedvoller Stille öffneten wir die erste Rotweinflasche.
Prost auf alle Retter und Geretteten., Beteiligte und Unbeteiligte.