Seit zwei Wochen schon liegt MS "Shannon" in der Camagh Bay vor Anker. Die
See tobt im Sturm. Kapitän Stevie, der das Schiff durch Dick und Dünn ge-
steuert hat, sieht keine Chance, aus dieser unheilvollen Bucht herauszukom-
men. Unweigerlich würde das Schiff an einem der zahlreichen Felsen zerschel-
len. Kaptein, sein Stellvertreter, hat ebenso Befürchtungen, das „Ding“ könnte Schlagseite bekommen, ganz ohne Buddel voll Rum.
Sven P. Ike, der mitfahrende Besitzer der bekannten Reederei, ist verzwei-
felt. Keine Chance, an Land zu kommen, um Vorräte zu bunkern. Der Anleger
ist zu flach, obendrein hat man dort im Halbdunkel gefährliche, mit
glühenden Kohlen werfende Ungeheuer ausgemacht. Die Lage an Bord ver-
schlechtert sich von Stunde zu Stunde. Chefmetereologe Holger hat nur noch Wetterfaxen im Kopf, Kombüsenchefin Meggy kann keinen germanischen Lachs mehr auftreiben, und Anni tramt schon vom nächsten Frühling. Marineschreiber bádoir hat den Bordhund auf dem Schoß und ist schon bei Seite 12735 seiner Aufzeichnungen angelangt.
Die Vorräte sind ausgegangen. Kein Krümel Eßbares, kein Tropfen Trinkbares an
Bord. Obermaat Udo beginnt schon mitten in der Nacht zu phantasieren und
meint, er befände sich im James(t)o(w)n Kanal. Der bekannte schottische
Schiffsarzt und Versorgungsoffizier Doc Mc Adldee hat bei ihm eindeutig ei-
nen Mangel an Vitamin A diagnostiziert. Der altbewährte Seemann Peter ver-
sucht, mit schön geschmiedeten Silberscheiben die Götter zu besänftigen: Al-
les umsonst. Die Stimmung an Bord ist auf dem Nullpunkt. Schiffsjunge Willi
muß dringend zum Friseur, Chefnavigatorin Tina sitzt mit knurrendem Magen
gramgebeugt über den Karten. Die Felsen, an denen sie bei schönem Wetter so
meisterhaft vorbeinavigiert hatte, sind ihr nun, nachdem der große Sturm ge-
kommen ist, zum Verhängnis geworden. Ihre Karriere ist am Ende, jetzt muß
das Schiff nur noch heil auf die offene See kommen.
Eines Nachts, Obermaat Udo will sich gerade über die Flüssigkeit im Kompaß
hermachen, nimmt das nervtötende Schlingern des Schiffs langsam ab. Maschi-
nist Bulli begibt sich hoffnungsfroh mit einer kleinen Säge in den Motor-
raum, um die Maschine für den anbrechenden Tag auf Höchstleistung zu trim-
men. 2. Offizier Uve Karl befestigt seine heimlich gehorteten Eiswürfelsäcke
fest in der Bilge, damit sie das krängende Schiff nicht gefährden können,
ja, und mit dem ersten Sonnenstrahl, da soll es losgehen!
Mit dem ersten Sonnenstrahl? -Mitnichten. Dicker Nebel verhüllt die Szene der
Morgendämmerung. Nichts ist zu sehen außer ein paar Krähen, die unheilvoll
krächzend vorbeiziehen. Sie wissen schon, auf diesem Schiff ist nichts eßba-
res mehr zu holen, außer wenn.......................
Schwere Entscheidung auf der Kommandobrücke. Kapitän Stevie, 1. und 2. Offizier sowie Reeder Sven beratschlagen ohne die in Ungnade gefallene Chefnaviga-
torin. Längeres Warten würde die ersten Opfer an Bord bedeuten; wie schnell
ist hier die Lästerpest ausgebrochen! Es muß gewagt werden. Das Risiko, mit
geringer Fahrt ohne Sicht an einem Felsen entlangzuschrammen, muß in Kauf
genommen werden. Alles ist besser, als noch einen Tag länger in der Hölle
von Camagh zu verharren.
Anker auf! so lautete der befreiende Befehl. Mit hurtig rasselnder Kette und
großem Schwung kommt der Anker an die Wasseroberfläche, so daß die Gallions-
figur "Sabine" ganz mit Schlamm bespritzt wird, und das Schiff nimmt langsam
Fahrt auf. Nicht nur die Felsen, auch die fehlerhaft gesetzten Marker am
Ausgang der verhängnisvollen Bucht lassen die Fahrt trotz ihrer quälenden
Langsamkeit zum riskanten Glücksspiel werden.
Da--- ein ohrenbetäubender Schlag! Alle, die die Kraft noch haben, schrecken
auf. Was war das?? Das Schiff bewegt sich noch, und die Maschine läuft unbe-
irrt weiter. Und wieder, aus den Tiefen des Nebels, ein harter, metallischer
Schlag, und noch einmal. An Bord beginnt Panik auszubrechen. Da gibt der
kalte Dunst für einen kurzen Moment den Blick auf ein Arbeitsboot mit den
Initialen "RJS" frei. Und im Näherkommen bestätigt sich die vage Vermutung,
er ist es tatsächlich: Rüdiger Steinacher, der unverdrossene Kontrolleur der
Marker! Nach vielen nutzlosen Briefen an die Behörden war er mit seinem Latein am Ende und hat zur Selbsthilfe gegriffen. Nun setzt er sein Lieblingsinstrument, die unermüdliche
Dampframme ein, um die Marker richtig zu setzen. Welch hoffnungsvoller
Augenblick! Der Maschinenlärm übertönt ein paar wüste Schimpfworte, und so zieht unter ermattetem, aber glücklichem Winken der Mannschaft
die "Shannon" an der "Tyrolia" vorbei, wohl wissend, auf dem richtigen Weg
zu sein.
Chefnavigatorin Tina ist rehabilitiert, und, wie von Zauberhand berührt,
lichtet sich der Nebel. Nichts spricht mehr gegen eine Überfahrt in die
Rosclare Bay, wo im nahen Killadeas endlich wieder Vorräte für die darbenden
Seeleute gebunkert werden können. Die aufgehende Sonne bricht sich ihre Bahn
zwischen Inis Doney und Inis Divan, - - - - doch was ist das??
Sie beleuchtet eine Szene des Schreckens! Ein blaugrünes Schillern am nörd-
lichen Horizont läßt Grauenhaftes ahnen. Ja, es ist eine Horde der berüch-
tigten Kampfenten, die von ihrem nächtlichen Beutezug nach Enniskillen zu-
rückkehren. Diese Monster machen mit ihren Exkrementen jedes Schiffsdeck so
schlüpfrig, daß sich kein Seemann mehr hinauftraut und das Schiff führungs-
los dem Untergang geweiht ist.
Doch der brave Maschinist Bulli bringt den Motor auf Höchstleistung, Tina
ruft "1 Strich über Ost", und so könnte die "Shannon" dem Unglück entkommen.
Aber ein klägliches Miauen von Bordkater Garfield kündigt weiteres Unheil
an. Triefnaß und durchgefroren kommt er aus der Bilge gekrochen und so er-
kennt 2. Offizier Uve Karl ein neues Malheur. Schlagartig wird ihm klar:
Seine heimlich gehorteten Eiswürfel haben sich in der Hitze des Maschinen-
raums aufgelöst und das restliche Eis hat die Bilgenpumpe verstopft. Gut
fünf Handbreit Wasser in der Bilge, und die Kampfenten rücken gnadenlos nä-
her. Mit der Handpumpe ist dem nicht mehr beizukommen.
Da hat 2. Maschinist Hubi eine geniale Idee: Zusammen mit dem Spezialisten
Christian verlegt er den Ansaugschlauch der Motorkühlung direkt in die Bil-
ge, um das Wasser abzupumpen.
Es klappt! Mit Macht saugt der Impeller das Wasser ab und damit auch die am
Grund jeder Bilge herumliegenden Schrauben und Muttern. Bei Höchstdrehzahl
dank Bulli werden diese, Geschossen gleich, zum Auspuff hinausgeschleudert,
wo sie den anrückenden Kampfenten den Garaus machen. Das Heckwasser der
"Shannon" färbt sich blutrot, und das Schiff rauscht mit 30 Knoten dem ret-
tenden Ufer zu.
Doch es kam, was kommen mußte. Das eiskalte Wasser aus der Bilge kühlte den
siedendheißen Motorblock so schnell herunter, daß er einen Riß bekam. Mit
einem leisen Knacks und einer riesigen Rauchwolke verabschiedet sich die
Maschine. Manövrierunfähig rast das Schiff mit seinen 30 Knoten genau auf
Gublusk Point zu. Noch 200 Meter, noch 100, 50, 10 .........
Schweißgebadet wache ich auf.
Es war der 31. Oktober, 1 Sekunde vor Mitternacht.
Also dann, Leute:
HAPPY
HALLOWEEN! 
Alle, die ich nicht erwähnt habe, bitte ich um Vergebung.
Erst recht alle, die ich erwähnt habe.
bádoir